„Ich stehe immer ein bisschen in seinem Schatten, und das finde ich eigentlich völlig in Ordnung“ – Gian van Veen überlässt Luke Littler gerne das Rampenlicht

PDC
Samstag, 13 Dezember 2025 um 14:15
Gian van Veen (1)
Die Erleichterung war greifbar, die Emotionen ehrlich, das Bewusstsein groß. Gian van Veen hat endlich sein erstes Match auf der Bühne der Darts WM gewonnen – und das eindrucksvoll. Mit einem Average von knapp 99 Punkten, sechs 180ern und einer mentalen Stärke, die dem Druck des Alexandra Palace standhielt, setzte sich der amtierende Europameister mit 3:1 gegen den Spanier Cristo Reyes durch. Ein Sieg, der sich anfühlte wie eine Last, die langsam, aber spürbar von seinen Schultern fiel.
„Es ist schwer, dieses Gefühl in Worte zu fassen“, sagte Van Veen direkt nach dem Spiel. „Du kommst hier als Europameister rein, als Nummer zehn der Welt, aber ich hatte hier noch nie gewonnen. Das macht dieses Turnier komplett anders als alle anderen.“ Für Van Veen war es nicht nur ein Matchgewinn, sondern die Befreiung von einem langjährigen, inneren Druck. In der zweiten Runde wartet nun der Sieger aus dem Duell zwischen Alan Soutar und Teemu Harju.

Unter maximalem Druck standgehalten

Die Zahlen erzählten eine klare Geschichte: ein 99er Average, sechs Maximums, hohes Niveau in fast jedem Leg – und dennoch blieb es alles andere als eine Pflichtaufgabe. Van Veen startete furios, sicherte sich die ersten beiden Sätze und schien auf dem besten Weg zu einem souveränen Auftaktsieg. „Die ersten beiden Sätze liefen richtig gut, alles griff ineinander“, analysierte der Niederländer. „Aber dann hat Cristo angefangen, seine Finishes zu treffen – und plötzlich lag der gesamte Druck auf mir.“
Gian van Veen auf der Bühne des Alexandra Palace
Gian van Veen besiegte in der Auftaktrunde der WM den Spanier Cristo Reyes mit 3:1.
Die Erinnerungen an frühere Rückschläge tauchten unweigerlich auf. „Ich dachte: Wenn es jetzt 2:2 steht, bin ich wieder genau da, wo ich vor zwei Jahren war – als ich nach einem 2:0-Vorsprung noch verloren habe. Das wollte ich kein zweites Mal durchmachen.“ Diesmal aber ließ Van Veen keine Zweifel offen. „Ich habe es zugemacht, das gibt mir wirklich mehr Selbstvertrauen, als ich je gehofft hätte“, sagte er mit einem erleichterten Lächeln.
„Natürlich hätte ich mich auch über einen Sieg mit einem 84er Average gefreut, aber die Art, wie ich das heute unter enormem Druck geschafft habe – gegen einen Gegner, der mich nie losgelassen hat – das macht diesen Moment besonders.“

Vom Frust zur Reife – Van Veens neuer Status

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft sprach die Darts-Szene viel über Gian van Veen – als frisch gebackenen European Championship Sieger, Shootingstar und möglichen Außenseiter mit Titelambitionen. Doch in all den Gesprächen fiel immer wieder ein Satz: „Er hat bei der WM noch kein Spiel gewonnen.“
„Ja, das ging mir total durch den Kopf,“ gab Van Veen offen zu. „Ich glaube, ich habe zwanzig Interviews gegeben, und in allen hieß es: ‚Du hast hier noch nie gewonnen.‘ Das lässt dich nicht kalt, auch wenn du es gern ausblendest.“ Umso süßer schmeckte der Sieg gegen Reyes.
„Cristo hat fantastisch gespielt, das machte es nur schwieriger“, erklärte er. „Aber genau deshalb fühlt es sich so gut an. Diese 180 im letzten Leg – die hat mir die Spannung von den Schultern genommen. Ab da wusste ich: Das bringe ich ins Ziel.“ Mit diesem Erfolg hat Van Veen endlich die gedankliche Blockade gelöst. „Das musste weg“, sagte er mit Nachdruck. „Jetzt kann ich mich auf das konzentrieren, was wirklich zählt – die nächste Runde, das nächste Match.“

Lieber unter dem Radar als im Rampenlicht

Van Veen galt schon lange als einer der größten Hoffnungsträger im Circuit. Experten bezeichneten ihn früh als „One to watch“. Der 22-Jährige nimmt diese Rolle mit gewisser Gelassenheit. „Es ist natürlich schön, das zu hören“, meinte er, „aber ich mag es lieber, wenn weniger Druck auf mir liegt.“
Er weiß genau, dass er häufig im Schatten eines anderen jungen Superstars steht – Luke Littler. „Luke ist die Nummer eins der Welt, er ist mit mir zusammen durchgebrochen, und das Rampenlicht liegt klar auf ihm“, erklärte er nüchtern. „Ich bin da etwas im Hintergrund – und ehrlich gesagt, finde ich das perfekt. Ich kann in Ruhe an meinem Spiel arbeiten.“
Bemerkenswert war, dass Van Veen den Druck dieses WM-Matches sogar höher einschätzte als jenen im EM-Finale, das er Anfang des Jahres in einem epischen 11:10-Krimi gegen Luke Humphries gewann. „Das klingt vielleicht verrückt, aber heute habe ich mehr Druck gespürt als im EM-Finale“, sagte er.
„In einem Finale bist du im Rhythmus, du hast dich warmgespielt, bist im Flow. Hier ist alles anders – du betrittst die Bühne nach Wochen ohne Matchrhythmus, und alle erwarten, dass du gewinnst. Ich selbst habe es auch erwartet. Das ist ein ganz anderer, viel härterer Druck.“
Doch seine Erfahrung aus jenem EM-Triumph half ihm, die entscheidenden Momente diesmal souverän zu meistern. „Dieses 11:10 gegen Humphries hat mir endgültig gezeigt, dass ich unter maximalem Druck liefern kann. Daran habe ich mich heute festgehalten – jedes Mal, wenn es brenzlig wurde.“

Respekt für Cristo Reyes – und neue Ziele

Das Duell mit Cristo Reyes hatte für Van Veen eine emotionale Bedeutung. „Ich habe angefangen Darts zu schauen, als ich zehn oder elf war, und da sah ich Cristo schon spielen“, erzählte er. „Vor sechs Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich einmal gegen ihn auf dieser Bühne stehen würde. Das war schon etwas Besonderes.“
Reyes, einst regelmäßig Teil der Top 32, meldete sich eindrucksvoll zurück – und Van Veen wusste das im Vorfeld. „Ich habe gelernt, nie jemanden zu unterschätzen. Cristo kann leicht Averages um die 95 werfen. Also war mir klar: Ich muss heute wirklich gut sein.“
Mit dem ersten Sieg im Rücken verschieben sich auch Van Veens Ambitionen. „Vor dem Turnier war das Ziel, einfach dieses erste Match zu gewinnen. Das ist jetzt erledigt“, grinste er. „Jetzt will ich über Weihnachten hinauskommen – das wäre ein Traum.“
Der Unterschied zum Vorjahr ist deutlich spürbar. Damals erreichte er als gesetzter Spieler kampflos die zweite Runde. „Aber das war nicht dasselbe. Jetzt habe ich mir meinen Platz hier erspielt, jetzt bin ich wirklich Teil des Turniers. Jetzt gehöre ich dazu.“
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