Gary Anderson wirkte nach seinem
4:1-Sieg über
Michael van Gerwen fast selbst ein wenig überrascht. Wieder ein Viertelfinale bei der
Darts WM, erneut ein Erfolg auf der größten Bühne gegen einen alten Rivalen – und doch blieb der Schotte vor allem nüchtern. Keine großen Ansagen, keine wilden Träume. Das ist Gary Anderson in Reinkultur. Während die Welt um ihn herum über einen
möglichen dritten WM-Titel spricht, weigert er sich konsequent, weiter als bis zu seinem nächsten Match zu schauen.
Der Sieg über van Gerwen bedeutete für Anderson nicht nur sportlichen Erfolg, sondern auch einen symbolischen Moment. Zwei Spieler, die sich in- und auswendig kennen und gemeinsam einen großen Teil der modernen Darts-Geschichte geprägt haben, standen sich im „Ally Pally“ erneut gegenüber. „Ehrlich gesagt fühlte es sich keinen Moment komfortabel an“,
gab Anderson auf der Pressekonferenz zu (YouTube). „Normalerweise pushen Michael und ich uns gegenseitig auf ein höheres Niveau, aber heute Abend kam das nicht wirklich raus.“
Alte Rivalität, neues Kapitel
Die Partie bot phasenweise das vertraute Feuerwerk. Warf Anderson eine 180, antwortete van Gerwen oft prompt – und umgekehrt genauso. Dazwischen lag jedoch zu viel Unruhe, zu viele schwächere Aufnahmen. „Es schien einfach nicht zu zünden“, analysierte Anderson. „Mein Scoring war nicht gut, aber meine Doppelfelder fielen genau zum richtigen Zeitpunkt. Und das hat am Ende den Unterschied gemacht.“
Gary Anderson trifft im Viertelfinale der Darts WM 2026 auf Justin Hood
Die Historie zwischen Anderson und van Gerwen verlieh diesem Duell zusätzliche Brisanz. Das letzte Mal, als van Gerwen Anderson auf dieser Bühne schlug, kostete es den Schotten einen dritten WM-Titel. „Das war mein drittes WM-Finale in Folge“, erinnerte sich Anderson. „Er gewann damals, und das tut noch immer weh.“ Dass er nun, Jahre später, Revanche nahm, fühlte sich besonders an – auch wenn er dieses Gefühl bewusst klein hielt. „Michael verpasste viele Doppel. Das gab mir Chancen. Mehr war es nicht.“
Dennoch stand außer Frage, dass ihm dieser Sieg guttat. Van Gerwen, den Anderson kennt, seit dieser ein Teenager war, bleibt für ihn ein Gradmesser. „Als Michael sein erstes TV-Turnier in Dublin gewann, ging er auf eine Achterbahnfahrt, die zehn, zwölf Jahre dauerte. Er war nicht zu stoppen. Also ja, es ist immer angenehm, ihn stoppen zu können.“
Die nächste Hürde: Justin Hood
Im Viertelfinale wartet
Justin Hood – ein Name, der dem großen Publikum vielleicht noch nicht viel sagt, was Anderson für völlig unverdient hält. „Jeder fragt: Wer ist Justin Hood? Glaubt mir, er ist ein fantastischer Dartspieler. Wirklich ein Kracher.“ Anderson sprach mit sichtbarer Freude über seinen nächsten Gegner. „Er ist immer gut gelaunt, genießt das Leben und Darts. Und er kann unglaublich gut spielen.“
Diese Aussagen spiegeln Andersons Blick auf die heutige Dartswelt wider. Wo er früher vielleicht von einer Handvoll Topspieler gesprochen hätte, betont er nun immer wieder die enorme Breite des Niveaus. „Der Standard ist durch die Decke gegangen“, sagte er. „Allein die erste Runde zu überstehen, ist heutzutage eine Leistung. Bei dem Talent, das nachkommt, darf man darauf schon stolz sein.“
Obwohl Anderson jetzt nur noch drei Spiele von einem dritten WM-Titel entfernt ist, lässt er sich nicht mitreißen. „Glaube ich daran? Nein“, sagte er resolut. „Ich muss zuerst das nächste Spiel gewinnen. Wenn ich das Finale erreiche, habe ich eine Chance. Wenn nicht, habe ich einfach ein gutes Turnier gespielt.“
Diese Haltung passt zu einem Spieler, der weiß, wie launisch Darts sein kann. Anderson kennt auch die Schwierigkeit, heute dauerhaft an der Spitze zu bleiben. „Ich stecke bei weitem nicht so viel Zeit in Darts wie diese jungen Jungs. Das ist einfach die Realität. Und trotzdem mache ich es, gemessen an dem, was ich investiere, ziemlich ordentlich.“
Vater und Sohn
Eine zusätzliche Dimension in Andersons WM-Abenteuer ist sein Sohn Tie, der inzwischen selbst leidenschaftlich am Oche steht. „Er sagte neulich noch, dass ich schlecht sei“, lachte Anderson. „Aber er ist voll dabei. Er spielt viel, er genießt es.“ Vor allem versucht Anderson, seinen Sohn realistisch zu halten. „Ich sage ihm immer: Du musst verlieren lernen, bevor du gewinnen kannst.“
Der Gedanke, eines Tages gemeinsam mit seinem Sohn auf derselben WM-Bühne zu stehen, gefällt Anderson sehr. „Er braucht noch ein paar Jahre, aber das wäre großartig. Es passiert nicht oft, Vater und Sohn im selben Turnier. Das wäre etwas Besonderes.“
Auffällig in Andersons Interviews ist auch der Kontrast zwischen seiner Form auf dem Floor und im Fernsehen. In den vergangenen anderthalb Jahren haderte er nach eigener Aussage oft mit seinen TV-Auftritten, doch bei der WM scheint er regelmäßig über sich hinauszuwachsen. „Warum das so ist? Keine Ahnung“, sagte er ehrlich. „Ich kann es nicht erklären.“
Premier-League-Rückkehr?
Vielleicht ist es die Magie des größten Turniers. Vielleicht die Erkenntnis, dass jeder genau hier stehen will. „Wir spielen das ganze Jahr, um hierher zu kommen“, erklärte Anderson. „Und schaut, wo Darts jetzt steht. Eine Million Pfund für den Sieger. Das ist unglaublich.“
Auf eine mögliche Rückkehr in die Premier League angesprochen, sollte er am Ende den Pokal in die Höhe stemmen, reagierte Anderson mit seinem typisch trockenen Humor. „Schönes Wetter draußen, oder?“, sagte er lächelnd. „Wirklich herrlich. Heute hat die Sonne geschienen.“
Nervosität, aber anders als früher
Während Anderson früher für starke Nervosität bekannt war – er erzählte offen, dass ihm vor Matches manchmal wortwörtlich schlecht wurde –, erlebt er das heute anders. „Heute Abend fühlte es sich nicht gut an, aber nicht wegen Nervosität. Mehr eine Art Unbehagen. Das hatte Michael meiner Meinung nach auch.“ Der Walk-on bleibt für ihn der schwierigste Moment. „Da schlagen die Nerven zu. Ich würde lieber einfach auf die Bühne gehen und anfangen.“
Die Statistiken sprechen dennoch eine klare Sprache: Anderson führt bei dieser WM die 180er-Wertung an. Große Bedeutung misst er dem allerdings nicht bei. „Maxima gewinnen keine Spiele. Doppel tun das.“ Es ist ein klassisches Anderson-Zitat – und eines, das perfekt zusammenfasst, warum er nach all den Jahren noch immer mithält: nicht nur durch Spektakel, sondern durch Timing, Ruhe und Erfahrung.
Ein Vorbild für die Jugend
Dass er inzwischen als Idol für Spieler gilt, die ihn früher im Fernsehen sahen, bedeutet Anderson viel. Gleichzeitig macht es ihm sein Alter bewusst. „Es lässt mich vor allem alt fühlen“, witzelte er. Doch der Stolz überwiegt. „Es ist schön zu sehen, dass Jungs wegen dir mit Darts angefangen haben und jetzt zu den Besten der Welt gehören.“
Ob sie ihn schon überholen können? Anderson lächelte und schob hinterher: „Sie werden es nicht leicht haben. Das kann ich dir versprechen.“