Die schottische Dartslandschaft erlebt derzeit eine Phase des Wandels. Während
Gary Anderson eine Renaissance feiert, kämpft
Peter Wright mit Formschwankungen – und
Cameron Menzies klopft energisch an die Tür zur Weltspitze. Doch trotz Andersons starker Leistungen auf dem Floor bleibt der ganz große Durchbruch auf der Bühne aus.
Anderson zeigt Biss – aber TV-Erfolge fehlen
Nach einer enttäuschenden Premier League-Saison 2023, in der Gary Anderson den letzten Platz belegte, wurden Stimmen laut, die das Ende seiner Karriere auf höchstem Niveau prophezeiten. Auch seine Motivation wurde infrage gestellt. Doch „The Flying Scotsman“ ließ seine Kritiker verstummen.
Im vergangenen Jahr kehrte Anderson nach längerer Abwesenheit auf die European Tour zurück – mit durchschlagendem Erfolg. Er gewann den European Darts Grand Prix und verteidigte diesen Titel in diesem Jahr mit einem souveränen 8:0-Finalsieg gegen Andrew Gilding. Auch auf der Pro Tour ist Anderson in bestechender Form: Seit Beginn des Jahres 2024 gewann er drei Titel und spielt einen Average von 98,73 Punkten – der höchste im gesamten Feld. Damit gehört Anderson nach wie vor zu den konstantesten Scorern der Welt.
In der Weltrangliste kletterte der 53-Jährige inzwischen auf Platz 12. Doch auf der großen Bühne bleibt der Erfolg aus: Sein bestes TV-Ergebnis der letzten zwei Jahre war das Halbfinale beim Grand Slam of Darts, in dem er knapp an Luke Littler scheiterte. Bei der Weltmeisterschaft verlor er bereits in Runde eins gegen Jeffrey de Graaf. Auch bei den Masters, den UK Open und dem World Matchplay kam das frühe Aus. Dennoch bietet das geringe Preisgeld am Jahresende Chancen, weiter in der Rangliste zu steigen.
Wright im Sinkflug – Status unter Druck
2022 wurde Peter Wright zum zweiten Mal Weltmeister und erklomm Platz 1 der Weltrangliste. Drei Jahre später steht „Snakebite“ nur noch auf Rang 16 – und droht, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren.
Nach seiner Erstrundenpleite bei der WM gegen Jim Williams legte Wright symbolisch seine Trophäen beiseite – ein Schritt, um mit der Vergangenheit abzuschließen. Zwar konnte er mit dem Titelgewinn bei der German Darts Championship – inklusive Finalsieg über Luke Littler – ein Ausrufezeichen setzen, doch solche Lichtblicke sind selten geworden.
Wrights Checkout-Stärke bleibt seine große Waffe, doch im Scoring hat er deutlich nachgelassen. Seine besten TV-Leistungen in diesem Jahr waren ein Halbfinale bei der World Series of Darts sowie ein Viertelfinale bei der WM, wo er Luke Humphries mit überragenden 70 % auf die Doppel bezwang. Dennoch droht ihm, seinen Platz als schottische Nummer zwei an Cameron Menzies zu verlieren.
Menzies überzeugt – Soutar, Beveridge & Co kämpfen
Cameron Menzies hat 2024 einen mutigen Schritt gewagt: Er kündigte seinen Job und widmet sich seither voll dem Profidarts. Mit zwei Players Championship-Titeln und dem Einzug ins Viertelfinale bei der Europameisterschaft hat sich der 36-Jährige bis auf Rang 33 der Weltrangliste vorgearbeitet. Besonders auffällig ist seine mentale Entwicklung: Während er früher zu impulsiven Reaktionen neigte, wirkt er heute fokussierter und stabiler.
Jüngst wurde bekannt, dass er sich nach über vier Jahren Beziehung von Fallon Sherrock getrennt hat. Wie er damit sportlich umgeht, bleibt abzuwarten. Sollte es ihm gelingen, sich ganz auf sein Spiel zu konzentrieren, ist ihm in der zweiten Jahreshälfte noch viel zuzutrauen.
Alan Soutar feierte Anfang 2024 seinen ersten PDC-Titel in Hildesheim – konnte aber bislang nicht daran anknüpfen. Frühe Niederlagen bei der WM und auf der European Tour zeigen, dass noch Arbeit vor ihm liegt. Dennoch scheint seine Tour Card vorerst nicht in Gefahr zu sein. In der bereinigten Weltrangliste, bei der Preisgeld gestrichen wird und nur Startgelder für Major-Teilnahmen zählen, liegt er sogar leicht besser – aktuell auf Platz 50. „Soots“ hat sich von der BDO/WDF zur PDC hochgearbeitet und ist mittlerweile ein stabiler Bestandteil des erweiterten Mittelfelds – für mehr als gelegentliche Achtungserfolge scheint es aktuell jedoch nicht zu reichen.
Fünf vor zwölf für Beveridge und Borland
Für
Darren Beveridge, derzeit die Nummer 77 der Weltrangliste, und
William Borland, aktuell auf Platz 94 geführt, wird es ernst. Beide kämpfen um ihre Zukunft im Profi-Circuit.
Beveridge konnte sich für die Hungarian Darts Trophy qualifizieren – ein wichtiger Schritt, um sich möglicherweise noch für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Jede Runde, die er dort übersteht, bringt nicht nur Preisgeld, sondern auch Ranglistenpunkte und Momentum.
Bei Borland sieht die Situation kritischer aus. Berühmt für seinen Neun-Darter im Alexandra Palace 2022, liegt er inzwischen rund 13.000 Pfund hinter einem WM-Startplatz zurück. Ohne schnelle Erfolgserlebnisse dürfte ihm die Tour Card kaum zu retten sein.
Fazit: Schottlands Dartszukunft steht auf der Kippe
Die schottische Dartszene steht an einem Wendepunkt. Gary Anderson beweist, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört – auch wenn die TV-Ergebnisse (noch) nicht mit seinen Floor-Leistungen mithalten. Peter Wright kämpft um seinen Platz in der Elite und droht, überholt zu werden. Cameron Menzies wiederum scheint bereit, das Erbe anzutreten – mit konstanten Leistungen und neuer Reife.
Hinter den drei Zugpferden kämpfen Spieler wie Alan Soutar, Darren Beveridge und William Borland um den Anschluss und den Verbleib im Circuit. Sollte es in den kommenden Monaten keine größeren Erfolgserlebnisse geben, droht die Zahl der schottischen Tour Card-Inhaber bis 2026 deutlich zu sinken.