Jahrelang schien Gemma Hayters Geschichte im professionellen Darts erzählt. Die Engländerin, einst als großes Talent gefeiert, verlor früh den Anschluss und entschied sich für Sicherheit statt Unsicherheit – für Arbeit und Alltag statt Bühne und Bühne. Die Leidenschaft blieb, aber der Glaube an eine Karriere war dahin.
Doch 2024 änderte sich alles. Der Erfolg der PDC Women’s Series, das wachsende Interesse am Frauendarts – und ein junger Mann namens
Luke Littler – brachten Hayter dorthin zurück, wo sie sich eigentlich nie wieder sah. Zwei Jahre später steht sie tatsächlich auf der größten Bühne der Welt: dem Alexandra Palace, beim
Darts WM-Debüt am 19. Dezember 2026.
Die Wurzeln in der Kneipe
Gemma Hayters Geschichte beginnt, wie so viele im Darts, in einem Pub irgendwo im Süden Englands. Ihre Eltern führten über Jahre eine Kneipe, beide spielten County-Darts, und so wurde die kleine Bühne im Hinterzimmer zu ihrem ersten Zuhause.
Gemma Hayter gab in dieser Saison ihr Debüt beim Women’s World Matchplay.
Mit 13 trat sie dem Jugendteam von Hampshire bei, nur ein Jahr später spielte sie bei den Senioren mit. „Ich glaube, das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich wirklich Talent habe“, erzählt sie
gegenüber Fen Regis Trophies. Doch für Frauen war der Weg zur Spitze damals fast unmöglich. Preisgelder waren gering, Turniere rar, und ein Leben vom Darts schien unerreichbar.
In ihrer Jugend traf Hayter auf Legenden wie Deta Hedman – und bekam Lektionen fürs Leben. „Ich war nervös, Deta hat mich auseinandergenommen“, sagt sie lachend. Aber es waren genau diese Erlebnisse, die sie formten. Die Teilnahme am World Masters 2009 blieb erfolglos, doch 2015 erreichte sie beim BDO Gold Cup das Viertelfinale – gegen Fallon Sherrock. „Sie meinte nach dem Spiel, sie wisse nicht, wie sie gewonnen habe“, erinnert sich Hayter. „Ich sagte nur: ‚Weil ich keinen Doppel getroffen habe!‘“
Selbst als sie 2016 das England-Trikot tragen durfte, war für sie klar: Weiter geht es nicht. „Ich dachte, das ist mein Höhepunkt. Mehr ist einfach nicht drin – und finanziell war es nicht machbar.“ Sie legte die Pfeile beiseite.
Der neue Antrieb: „Die Littler-Mania hat mich wieder gepackt“
2024 veränderte sich die Landschaft komplett. Die Women’s Series gewann an Bedeutung, die PDC investierte stärker in Frauenwettbewerbe, und Beau Greaves inspirierte eine neue Generation. Doch es war ein anderer Name, der die Funken endgültig entzündete: Luke Littler.
„Sein WM-Lauf und die Begeisterung drumherum haben mich wieder zum Zuschauen gebracht“, erzählt Hayter. „Ich saß da, sah ihm zu – und plötzlich wollte ich wieder werfen.“
Ein paar Trainingspfeile wurden zur spontanen Anmeldung für die Women’s Series. Ihre Partnerin bestärkte sie, sie nahm Urlaub – und stand plötzlich wieder an der Oche. „Ich sagte mir: Wenn ich 400 Pfund mitnehme, bin ich zufrieden.“ Am Ende ihres ersten Wochenendes erreichte sie das Halbfinale und kassierte 500 Pfund. „Von da an ging’s Schlag auf Schlag“, sagt sie.
Titel, Tränen und die Rückkehr in den Rhythmus
In den Monaten danach gewann Hayter mehrere Titel auf der Modus- und WADC-Tour. Der emotionale Höhepunkt: ein 4:0-Sieg über Fallon Sherrock im Finale der WADC in Portsmouth. „Das war riesig. Mein erster großer Titel seit dem Comeback.“
2025 setzte sie sich das nächste Ziel – die Qualifikation für das Women’s World Matchplay. Es gelang, auch wenn sie zuvor drei Finals knapp verlor. „Die Niederlagen taten weh, aber ich sah an meinen Averages, dass ich nah dran war. Das gab mir Vertrauen.“
Ihr Matchplay-Abenteuer verlief dennoch alles andere als reibungslos. „Ich wurde am Morgen des Spiels von einer Möwe getroffen – kein Scherz“, lacht sie. „Dann kam ich zurück ins Hotel, kein Wasser! Meine Freundin versuchte, das Zeug aus meinen Haaren zu kriegen, bevor ich zu den Medien musste. Es war totales Chaos.“
Was früher vielleicht schiefgegangen wäre, ist heute Teil ihres Charmes. „Diese Geschichten zeigen, wie weit wir gekommen sind. Vor ein paar Jahren hätten Frauen gar nicht die Gelegenheit gehabt, über so etwas zu lachen – weil es keine Bühne dafür gab.“
Das Märchen vom Ally Pally
Am 19. Dezember 2026 betritt
Gemma Hayter schließlich die Bühne des Alexandra Palace – das Epizentrum des Darts, den Ort, an dem Träume Wirklichkeit werden oder zerbrechen. Für Hayter ist es ein Moment, den sie nie für möglich gehalten hätte.
„Ich war ehrlich gesagt nicht begeistert, als ich meine Auslosung gesehen habe“, sagt sie und grinst. Ihr erster Gegner:
Josh Rock, Nummer elf der Welt. „Da gehst du als Außenseiterin rein – aber genau das nimmt mir den Druck. Ich will einfach gut spielen. Wenn ich ein Leg gewinne, bin ich schon glücklich.“
Doch selbst hinter dieser Bescheidenheit spürt man ihren Ehrgeiz. Hayter ist mehr als nur eine Rückkehrerin – sie steht sinnbildlich für den Aufschwung einer Generation, die das Darts-Frauenbild verändert. „Wenn ich an 2016 denke, gab es kaum Preisgeld oder Aufmerksamkeit. Heute fragen dich Fans nach Fotos. Das ist verrückt.“
Was als Hobby im Pub begann, führt sie jetzt auf die größte Bühne der Welt. Und egal, wie ihr Debüt endet – Gemma Hayter hat schon gewonnen. Sie hat sich zurückgespielt in ein Spiel, das sie nie ganz losgelassen hat.