„Ich bin ein Mensch mit Gefühlen, kein Objekt“ – Noa-Lynn van Leuven kehrt trotz schwerer Depression in den Ally Pally zurück

PDC
durch Nic Gayer
Samstag, 13 Dezember 2025 um 15:30
Noa-Lynn van Leuven
Dass Noa-Lynn van Leuven in diesem Jahr erneut bei der Darts WM aufläuft, darf mit Recht als kleines Wunder gelten. Nicht wegen ihres Talents – das steht längst außer Frage – sondern wegen des harten mentalen Kampfes, den sie in den vergangenen Monaten führen musste. Wochenlang lag sie fast ausschließlich im Bett und suchte nach Gründen, überhaupt aufzustehen. Dass sie nun, am Vorabend ihrer zweiten WM-Teilnahme, wieder an der Oche steht, ist das Ergebnis intensiver Hilfe, großer Resilienz und eines langsam zurückkehrenden Glaubens an sich selbst.
Van Leuven (29) fiebert nicht unbedingt dem Moment entgegen, in dem dieses Interview veröffentlicht wird. Sie kann die Reaktionen darunter bereits ausmalen. „Ah, das ist der Mann“, oder eine der vielen anderen Beleidigungen, die sie inzwischen nur allzu gut kennt. „Anderen zu helfen ist mir wichtiger, als an mich selbst zu denken“, sagt sie gegenüber AD.nl. „Wenn es nur eine einzige Person gibt, die denkt: Ich bin nicht verrückt, ich darf ich selbst sein, dann ist all der Ärger es wert.“

Stürmische Monate

Kräftige Regenschauer wechseln sich mit grellen Sonnenstrahlen ab. Das Herbstwetter wirkt wie ein Spiegel der vergangenen Monate von van Leuven. Im vergangenen Jahr schrieb sie Geschichte, als sie als erste niederländische Frau bei der Darts-Weltmeisterschaft antrat – ein Meilenstein, sportlich wie persönlich. Doch das Hochgefühl dieses Moments trug nicht lange.
Noa-Lynn van Leuven trifft in der Auftaktrunde der Darts WM 2026 auf Peter Wright
Noa-Lynn van Leuven trifft in der Auftaktrunde der Darts WM 2026 auf Peter Wright
Nach der WM verlor sie den Halt. Van Leuven legte die Pfeile beiseite, meldete sich in ihrem Job als Souschefin krank und fiel in ein tiefes mentales Loch. „Ich stand eigentlich nur noch auf, wenn ich Hunger hatte“, erzählt sie offen. „Dann nahm ich mir eine Tüte Chips, legte mich wieder hin und verbrachte den ganzen Tag mit Netflix.“
Rückblickend wusste sie, dass es ihr schon länger nicht gut ging. „Aber solange du einfach weitermachst und nicht zu viel nachdenkst, hältst du durch. Letztes Jahr hatte ich so viele Dartsturniere, dass ich keine Zeit hatte, innezuhalten und zu spüren, wie es mir wirklich geht. Erst noch schnell dieses Turnier, erst noch schnell die WM. Doch wenn das alles vorbei ist, kommt der Schlag.“
Und dieser Schlag traf sie mit voller Wucht. „Es fühlte sich an, als würde ich gegen eine riesige Betonwand laufen.“

Hass, Ausgrenzung und alte Traumata

Ein zentraler Auslöser für den mentalen Zusammenbruch war die Welle an Reaktionen rund um ihre Person und ihre Teilnahme am Frauendarts. Besonders die Phase, in der Anca Zijlstra und Aileen de Graaf aus dem niederländischen Team ausstiegen, weil sie nicht mit „einem biologischen Mann“ spielen wollten, empfand van Leuven als „unglaublich schmerzhaft“.
Auch die Entscheidung des Dartverbandes WDF, Transfrauen von Frauenwettbewerben auszuschließen, hinterließ tiefe Narben. „So heftig wie damals habe ich die Reaktionen nicht mehr erlebt“, sagt sie. „Alles, was ich früher durchgemacht habe, kam plötzlich wieder hoch.“
Van Leuven wuchs in Heemskerk auf und erlebte bereits in ihrer Jugend Mobbing und Ausgrenzung. „Damals konnte man noch sagen: Es waren Kinder. Jetzt sind es Erwachsene, die genau wissen, was sie tun.“ Der anhaltende Strom an Hassnachrichten führte dazu, dass sie sich kaum noch auf die Straße traute. Panik- und Angstattacken bestimmten ihren Alltag. „Irgendwann war ich überzeugt, dass alle Menschen gruselig und scheiße sind.“
Die Konsequenz war totale Erschöpfung – mental wie körperlich. Darts, ihre große Leidenschaft, rückte immer weiter in den Hintergrund. „Ich hatte einfach nichts mehr, worauf ich zurückfallen konnte.“

Intensive Hilfe zu Hause

Dass van Leuven in diesem Jahr dennoch wieder auf der WM-Bühne steht, ist auch das Ergebnis intensiver professioneller Unterstützung. Über einen Zeitraum von vierzehn Wochen wurde sie von einem IBT-Team (Intensive Behandlung zu Hause) begleitet. „Die standen buchstäblich drei Mal pro Woche vor meiner Tür“, erzählt sie.
„Sie halfen mir bei kleinen Dingen: Was kann ich heute tun? Wollen wir eine Runde spazieren? Manchmal nahmen sie mich einfach mit nach draußen. Dann musste ich aus dem Bett kommen.“ Was banal klingt, bedeutet für einen Menschen mit einer schweren Depression einen enormen Kraftakt.
Schritt für Schritt kehrte Struktur in ihren Alltag zurück. Van Leuven setzte sich kleine Ziele, begann ihre Traumata besser zu verstehen und lernte Werkzeuge kennen, um mit Angst und Stress umzugehen. „Es ging nicht in einer geraden Linie bergauf“, betont sie. „Aber es gab immer öfter Momente, in denen es sich etwas besser anfühlte.“

Pride als Wendepunkt

Ein entscheidender Moment folgte am Samstag, dem 02.08., während der Pride Amsterdam. Van Leuven erhielt eine Einladung auf den Wagen eines Podcasts – und entschied sich trotz großer Unsicherheit, hinzugehen.
„Das war so gemütlich“, sagt sie mit einem Lächeln. „Zum ersten Mal seit Langem fühlte ich Anerkennung. Dass ich sein darf, wie ich bin. Dass ich verrückt sein darf, mit einer Flagge wedeln und einfach feiern darf.“
Seit diesem Tag veränderte sich ihr Blick auf die Welt langsam, aber nachhaltig. „Ich dachte plötzlich: Vielleicht ist doch nicht jeder scheiße.“ Für Außenstehende mag dieser Satz simpel klingen, für van Leuven bedeutete er einen enormen inneren Schritt. Sie begann wieder, ihr soziales Umfeld aufzubauen, verbrachte mehr Zeit mit Freundinnen und Freunden und fühlte sich getragen.

Zurück am Oche

Auch beruflich fand van Leuven Schritt für Schritt zurück. Sie kehrte in ihren Job als Souschefin zurück – ein Handwerk, das sie sichtbar erfüllt. „Patisserie finde ich megacool“, erzählt sie begeistert. „Eine Panna Cotta machen, Desserts kreieren, das finde ich supertoll.“
Diese neu gewonnene Energie nahm sie mit an das Dartboard. Zunächst vorsichtig, dann begann sie zunehmend mehr zu trainieren. Die Leidenschaft für das Spiel war nie verschwunden. „Darts ist mein Ding. Dieses Gefühl, wenn alles passt, das verliert man nicht.“
Am Ende stand erneut die Qualifikation für die Darts-Weltmeisterschaft. Diesmal wartet gleich in der ersten Runde eine maximale Herausforderung: der zweimalige Weltmeister Peter Wright.

„Ich stehe hier, weil ich darten kann“

Van Leuven blickt realistisch, aber mit spürbarem Kampfgeist auf das Turnier. „Ich bin noch nicht unbedingt glücklich, aber glücklicher als zuvor“, sagt sie. „Und ich merke, dass viele es stark finden, dass ich nichts aus dem Weg gehe.“
Besonders viel bedeuten ihr die öffentlichen Zeichen der Unterstützung aus der Dartswelt. Spieler wie Michael van Gerwen und Luke Humphries bezogen klar Stellung gegen Hass und für Inklusivität. „Das tut mir wirklich gut“, betont sie.
Gleichzeitig legt van Leuven Wert auf eine klare Botschaft: Sie steht nicht wegen ihrer Identität auf der WM-Bühne, sondern wegen ihrer Leistung. „Ich stehe hier aus einem Grund: weil ich darten kann. Dass ich eine von fünfzehn Niederländern und Niederländerinnen bei dieser WM bin, finde ich irre, aber ich bin auch hier, um zu gewinnen.“

Mehr als nur ein Label

Zum Abschluss richtet van Leuven einen Wunsch an Medien und Fans. Zu oft liest sie Schlagzeilen, in denen ihr Name fehlt und stattdessen Begriffe wie „Transfrau“ oder „trans Darts-Spielerin“ dominieren. „Dann denke ich: Na, super. Das ist also offenbar, wer ich bin. Meine gesamte Identität in einem Wort eingefangen.“
Sie will das Thema nicht ausklammern – im Gegenteil. „Darüber zu sprechen ist völlig in Ordnung. Aber ich bin ein Mensch mit Gefühlen, kein Objekt.“ Dann fügt sie ruhig hinzu: „Ich bin einfach Noa. Und ich bin eine, die gut darten kann.“
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