„Ich mache meine Arbeit gern, aber Vollzeit-Dartsprofi zu werden wäre ein Traum“ – Andreas Harrysson beeindruckt bei der Darts WM 2026

PDC
Sonntag, 21 Dezember 2025 um 15:30
Andreas Harrysson (1)
Andreas Harrysson musste am Ende kurz lächeln, als er gefragt wurde, wie es sich anfühle, erneut bei der WM Darts 2026 zu gewinnen. Der 50-jährige Schwede hatte soeben den japanischen Publikumsliebling Tomoya Sakai in drei Sätzen bezwungen und damit zum ersten Mal in seiner Karriere die dritte Runde der WM erreicht. Keine großen Sprüche, kein Brusttrommeln – dafür Nüchternheit, Realismus und eine stille Ambition, die immer sichtbarer wird. „Dirty Harry“ trifft in der dritten Runde auf den Deutschen Ricardo Pietreczko.
„Es fühlt sich natürlich großartig an“, sagte Harrysson. „Ich habe nicht mein allerbestes Spiel gezeigt, aber er auch nicht. Am Ende ist es einfach ein richtig schöner Sieg.“

Standhalten gegen das Publikum

Das Duell gegen Sakai hatte eine zusätzliche Dimension. Der Japaner hatte in der ersten Runde das Publikum im Alexandra Palace mit seinem energischen Walk-on und seinem expressiven Spiel komplett hinter sich gebracht. Für Harrysson war im Vorfeld daher unklar, wie er mit dieser Stimmung umgehen würde. „Ja, ich war im Vorfeld schon ein bisschen besorgt“, gab er ehrlich zu. „Wenn man sieht, wie er die Bühne betritt und wie das Publikum reagiert, weiß man, dass es schwierig werden kann. Aber ich denke, ich habe es ganz gut gelöst. Er war heute auch nicht ganz derselbe wie in seinem ersten Match.“
Während Sakai versuchte, das Publikum zu bespielen, blieb Harrysson bei sich. Keine zusätzlichen Gesten, keine theatralischen Momente – einfach den Fokus auf das eigene Spiel. Das reichte aus.
Ein entscheidender Moment der Partie kam früh mit einem 141-Finish von Harrysson. Ein Finish, das nicht nur Punkte brachte, sondern auch Ruhe in sein Spiel. „Der fühlte sich wirklich sehr gut an“, sagte er. „Ich dachte nur: Du kannst das. Und dann traf ich auch. Das war ein wichtiger. Danach fühlte ich mich oben auf der Bühne deutlich wohler.“
Das ist typisch für Harrysson: keine ausufernden Analysen, keine mentalen Tricks, sondern Vertrauen in den Moment. Dieses Vertrauen scheint ihn bei diesem Turnier weit zu tragen.

Weihnachten in London, Familie nah

Mit seiner schwedischen Mütze auf dem Kopf erzählte Harrysson, dass er in der kommenden Zeit in London bleibt. Nicht allein, sondern mit seiner ganzen Familie. „Sie sind alle hier“, sagte er. „Also feiern wir Weihnachten wahrscheinlich einfach hier in London.“
Eine besondere Situation für jemanden, der normalerweise weit weg vom Rampenlicht lebt, „in the middle of nowhere“ in Schweden, wie er selbst sagt.

Vom Traum zur realistischen Ambition

Vor dem WM-Start kam Harrysson ohne große Erwartungen in den Alexandra Palace. Umso bemerkenswerter ist sein Platz in der dritten Runde. Naiv ist er dennoch keineswegs. „Ich weiß, was ich kann“, sagte er. „Ich denke, dass ich noch ein paar Spiele gewinnen kann. Aber ich weiß auch, dass ich genauso gut in der ersten Runde hätte rausgehen können. Deshalb bin ich so glücklich darüber.“
Mit seinem aktuellen Lauf rückt auch ein konkretes Ziel näher: eine PDC Tour Card und ein Platz in den Top 64 der Welt. Nur zwei Siege könnten dafür reichen. „Ja, ich habe mir das schon angeschaut“, gab er zu. „Ich weiß, was ich tun muss, und ich denke, es ist möglich. Wenn es klappt, muss ich im Januar nicht nach Deutschland zur Q-School. Das wäre großartig.“
Harrysson blickt also durchaus auf die Weltrangliste, wenn auch nicht obsessiv. „Nicht die ganze Zeit, aber ich weiß, was nötig ist.“
Andreas Harrysson in Aktion im Alexandra Palace
Andreas Harrysson trifft in der dritten Runde auf Ricardo Pietreczko

Ein Dartspieler mit einem normalen Job

Vielleicht das Auffälligste an der Geschichte von Andreas Harrysson ist, dass er all das mit einem Vollzeitjob verbindet. Kein Profigehen, kein Leben vollständig im Zeichen des Darts. „Ich arbeite in einer Fabrik“, erzählte er. „Wir fertigen Hausfassaden und Fensterrahmen. Ich stehe an den Maschinen.“
Das macht er nun seit zwei Jahren. Davor arbeitete er mit Metall. Die Frage, ob er Vollzeit-Dartprofi werden möchte, muss er nicht lange bedenken. „Ich mag meine Arbeit“, sagte er. „Aber Vollzeit professioneller Dartspieler zu werden, wäre natürlich ein Traum.“

Erfahrung aus verschiedenen Dartswelten

Harrysson ist in der Dartswelt kein Unbekannter. Er spielte jahrelang in unterschiedlichen Systemen, darunter die WDF und die BDO, und ist in Skandinavien und im Baltikum ein bekannter Name. Diese Erfahrung zahlt sich jetzt aus. „Ich denke, das hilft auf jeden Fall“, sagte er. „Aber vor allem die MODUS Super Series waren für mich sehr wichtig. Dort durfte ich ein paar Wochen spielen, und das war wirklich eine großartige Chance.“
Diese Partien, oft unter Druck und mit Kameras, haben ihn sichtbar abgehärtet.

Zukunftspläne: England oder weiter pendeln?

Sollte Harrysson tatsächlich auf der PDC Tour durchbrechen, stellt sich automatisch die Frage: Umzug nach England oder weiter pendeln? „Ich wohne wirklich in the middle of nowhere in Schweden“, lachte er. „Ein Umzug nach England stand schon ein paar Mal im Raum, aber so weit sind wir noch lange nicht. Erst mal schauen, wie weit wir kommen. Reisen bleibt vorerst eine Herausforderung.“
Im Interview wurde Harrysson auch mit seinem Ruf als „Showman“ konfrontiert, mitverantwortet durch spektakuläre Finishes und populäre Online-Videos. Er selbst erkennt sich darin nicht. „Ich sehe mich nicht als Showman“, sagte er. „Ich bleibe lieber ruhig. Natürlich probiere ich manchmal etwas Verrücktes auf dem Board, aber ich bin kein Entertainer.“
Auch während des Matches gegen Sakai, der das Publikum regelmäßig bespielte und bei Finishes manchmal lange wartete, ließ sich Harrysson nicht ablenken. „Ich habe einfach mein eigenes Spiel gespielt“, sagte er. „Ich wusste nicht einmal, dass er auf Doppel 11 stand. Ich habe nichts Besonderes versucht.“

Eine leise Überraschung bei der WM

Andreas Harrysson ist vielleicht nicht der lauteste Name bei dieser WM, doch seine Leistungen werden immer deutlicher. Von der Fabrikhalle auf die größte Dartsbühne der Welt, mit Weihnachten in London und einer realen Chance auf eine Tourkarte.
Ob das Abenteuer noch länger dauert, weiß er selbst nicht. Aber eines ist sicher: Harrysson lebt seinen Traum, ohne sich zu verlieren. „Ich weiß, was ich kann“, sagte er schlicht.
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