Gian van Veen konnte das Gefühl nach seinem
4:1-Sieg gegen Charlie Manby kaum in Worte fassen. Der 23-jährige Niederländer steht erstmals in seiner Karriere im
Viertelfinale der
Darts WM – und das auf überzeugende Weise.
„Unbeschreiblich“, war das Erste,
was er auf der Pressekonferenz (YouTube) herausbrachte. „Ich bin wirklich sehr glücklich über diesen Sieg.“ Das Besondere daran: Van Veen fand selbst, dass er noch nicht einmal sein bestes Spiel gezeigt hatte. Mit einem Average von fast 99, einer starken Doppelquote und einer Flut an 180ern klingt das beinahe absurd. Doch genau diese Selbstkritik sagt viel darüber aus, wo van Veen aktuell steht. Die Messlatte liegt hoch – vielleicht höher denn je.
Mehr Komfort, mehr Macht
Laut van Veen lag der größte Unterschied zu seinem vorherigen Match vor allem in der Art, wie seine Pfeile im Board landeten. „Mit der vorherigen Partie war ich diesbezüglich überhaupt nicht zufrieden“, erklärte er. „Heute fühlte sich das deutlich besser an, und das sieht man sofort an der Zahl der 180er.“
Gian van Veen trifft im Viertelfinale der Darts WM 2026 auf Luke Humphries
Dieses Gefühl gab ihm Ruhe, Kontrolle und Vertrauen. Und vielleicht noch wichtiger: Er fühlte sich endlich wirklich zuhause auf der ikonischen Bühne des Alexandra Palace. „Das erste Match hier ist immer von Nervosität geprägt“, räumte er ein. „Erst recht gegen Cristo Reyes, denn im Vorfeld stand ich unter viel Druck. Alle sagten: Du hast hier noch nie gewonnen, es wird Zeit. Als ich da erst einmal durch war, fühlte ich mich mit jedem Spiel wohler.“
Dieses wachsende Vertrauen zeigt sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in seiner Haltung. Van Veen wirkt ruhiger, reifer und dennoch bissiger als je zuvor. Selbst wenn er sein sogenanntes A-Game nicht erreicht, gewinnt er weiter. „Das gibt mir vielleicht sogar das meiste Vertrauen“, sagte er. „Selbst wenn ich nicht hundert Prozent zufrieden bin, kann ich meine Gegner trotzdem schlagen.“
Der Moment der Emotion
Wer Van Veen kennt, weiß, dass er auf der Bühne normalerweise wenig von seinen Emotionen preisgibt. Umso auffälliger fiel seine Reaktion nach einem äußerst sehenswerten 132er-Finish aus. Ein Schlag auf die Brust, ein Blick zu seiner Familie – dieser Moment bedeutete offensichtlich mehr als ein gewöhnlicher Checkout. „Diesen Moment habe ich wirklich gebraucht“, gab er zu. „Ich fühlte mich gut, aber ich wurde ihn nicht los, vor allem im zweiten Satz. Ich verpasste drei Darts auf Doppel-10, um 2:1 in Sätzen in Führung zu gehen und sein Leg zu breaken. Darüber war ich echt wütend.“
Das 132er-Finish – ausgerechnet gegen „Champagne Charlie“ Manby – wirkte wie eine Befreiung. „Es war ein schwieriges Bullseye, teilweise blockiert. Ich musste einen Schritt zur Seite machen. Dieser Moment gab mir einen enormen Schub. Einmal alles rauslassen, die Spannung abwerfen.“
Jetzt, da van Veen nach dem Jahreswechsel für die Viertelfinals in den Ally Pally zurückkehrt, beginnt es bei vielen Spielern zu kribbeln. Ehemalige Weltmeister sagen häufig: Ab diesem Punkt fängt man an zu träumen. Van Veen widerspricht nicht. „Wenn du einmal im Viertelfinale stehst, beginnst du schon darüber nachzudenken“, gab er zu. „Aber in diesem Turnier sind noch so viele starke Spieler dabei. Schon allein das Finale zu erreichen, ist extrem schwer.“
Dennoch ist sein Selbstvertrauen riesig. Nicht, weil er aktuell jeden Gegner dominiert, sondern weil er weiß, dass er auch ohne Topform gewinnen kann. „Das ist der größte Schub, den du dir selbst geben kannst.“
Elite? Noch nicht
Auffällig ist, wie konsequent Van Veen sich weigert, sich selbst zur Elite zu zählen. Trotz eines Majortitels, eines WM-Viertelfinals und eines vorläufigen fünften Platzes in der Weltrangliste bleibt er vorsichtig. „Solange ich kein Weltmeister und keine Nummer eins der Welt bin, werde ich mich nicht Elite-Spieler nennen.“
Das passt zu seinem Charakter: ambitioniert, aber kontrolliert. „Anfang dieses Jahres stand ich um Platz 28 oder 29. Es ging alles so schnell. Vielleicht sage ich es anders, wenn ich in ein paar Tagen im WM-Finale stehe. Aber vorerst bin ich einfach ein ‚solider Spieler‘.“
Van Veen ist streng zu sich selbst, manchmal vielleicht sogar zu streng. Mit einem Turnieraverage um die 100 ist er noch immer nicht vollkommen zufrieden. „Das sagt, glaube ich, schon etwas darüber aus, wie gut es eigentlich läuft“, erklärte er. „Heute war das Scoring besser als beim letzten Mal, aber es ist noch wechselhaft. Nach einer 180 kam manchmal eine 58 oder 60.“
Trotzdem überwiegt das Positive. „Wenn du nicht hundert Prozent zufrieden bist und trotzdem dieses Niveau erreichst, darfst du eigentlich nicht klagen.“
Last und Ehre der Niederlande
Van Veen ist der einzige Niederländer unter den letzten Acht dieser Darts WM. Den Gedanken, irgendwann die niederländische Nummer eins zu werden, bezeichnet er selbst als „surreal“. „Wenn du aufwächst, weißt du: Michael van Gerwen ist die Nummer eins. Das ändert sich eigentlich nicht. Selbst wenn ich ihn irgendwann im Ranking überhole, wird er für viele Menschen immer die niederländische Nummer eins bleiben.“
Dass er aktuell bereits die niederländische Nummer zwei im Ranking ist, wertet van Veen als enormen Erfolg.
Ist er mit 23 Jahren schon bereit für alles, was ein möglicher Weltmeistertitel mit sich bringen würde – Medien, Aufmerksamkeit, Premier League of Darts? Van Veen zögert keine Sekunde. „Ja, ich denke schon. Ich hatte in letzter Zeit schon viel mediale Aufmerksamkeit, besonders nach dem Gewinn der EM. Natürlich wird es als Weltmeister noch viel mehr, aber ich denke, ich bin bereit dafür.“
Und falls es in diesem Jahr nicht so weit kommt? „Dann habe ich trotzdem eine fantastische WM gespielt.“
Die Vorbereitung auf das Viertelfinale bleibt bewusst simpel: Ruhe. „Morgen nehme ich mir frei. Um elf Uhr rufe ich meine Familie an, um ihnen ein frohes neues Jahr zu wünschen – wegen der Zeitverschiebung. Danach ausruhen und bereit sein für den 01.01.“