Gian van Veen steht verdient in der vierten Runde der
Darts WM 2026. Der 23-Jährige setzte sich mit 4:1 gegen
Madars Razma durch und überzeugte einmal mehr mit seiner Ruhe und Effizienz auf der großen Bühne. Und das, obwohl sich der Erfolg für ihn selbst gar nicht nach seiner besten Leistung anfühlte.
„Wenn es sich nicht gut anfühlt und du trotzdem 98 im Schnitt spielst bei 57 Prozent auf die Doppel, sagt das viel darüber aus, wo du stehst“,
erklärte Van Veen nüchtern nach dem Spiel. Er wirkte zufrieden – und zugleich erstaunlich analytisch. „Man hat gesehen, dass ich mich weniger wohlgefühlt habe als in den ersten beiden Runden“, gab er zu. „Meine Darts landeten nicht im gewünschten Winkel. Das war frustrierend.“ Trotzdem brachte der Niederländer das Match souverän über die Ziellinie. „Ich schaute nach drei Sätzen kurz auf den Bildschirm und sah 98, 102 und 103 im Schnitt – und konnte es kaum glauben. So hat es sich nicht angefühlt.“
Siegen, auch wenn das Gefühl fehlt
Genau dieses Phänomen betrachtet Van Veen als entscheidenden Fortschritt in seiner Entwicklung. „Wenn du dich nicht großartig fühlst, aber trotzdem souverän gewinnst, ist das ein großer Vorteil“, betonte er. Es ist eine Qualität, die er sich über Monate erarbeitet hat – und die ihn längst zu einem der spannendsten Spieler im Circuit gemacht hat. Sein Triumph bei der European Championship im Herbst markierte den bisherigen Höhepunkt einer rasant verlaufenden Saison.
Gian van Veen trifft in der vierten Runde auf Ricky Evans oder Charlie Manby
Seit diesem Titel wirkt der junge Niederländer gefestigt wie nie. „Mein Selbstvertrauen ist seither durch die Decke gegangen“, sagte er offen. „Auch wenn ich beim Grand Slam die Gruppenphase verpasst habe, war mein Spiel absolut stark. Ich gewann zwei von drei Partien, schlug bei den Players Championship Finals Luke Humphries und verlor nur knapp gegen Krzysztof Ratajski. Diese Ergebnisse waren vielleicht nicht perfekt, aber mein Spiel war es.“
Diese Überzeugung trägt Van Veen auch auf die WM-Bühne. In den zweiten Runden spielte der
Niederländer im Duell mit Alan Soutar den bisher höchsten Average des Turniers von über 108 Punkten. „Ich freue mich auf die letzten Sechzehn. Ich fühle mich gut – und wer weiß, was möglich ist.“
„Ich schaue nur auf das nächste Match“
Angesichts seines rasanten Aufstiegs bleibt Van Veen bemerkenswert gelassen. Mit einem weiteren Sieg könnte er sich in der Weltrangliste bereits unter die Top 4 schieben – eine Aussicht, die er mit einem Lächeln kommentierte. „Wenn das passiert, zwicke ich mich kurz. Vor einem Jahr war ich Nummer 27 oder 28 der Welt. Dieses Jahr ist so schnell vergangen.“
Dennoch will er den Blick nicht auf Rankings richten. „Ich weiß, wen ich überholt habe, aber ich beschäftige mich nicht damit. Die WM ist wichtiger als Punkte und Platzierungen. Ich nehme es Match für Match.“
Nach seiner klaren 3:0-Führung gegen Razma schlich sich kurzzeitig Nachlässigkeit ein – ein Moment, den Van Veen selbstkritisch ansprach. „Ja, ich wurde ein bisschen zu locker. In meinem Kopf war ich schon durch. Ich dachte zu viel über meinen Wurf nach und darüber, wie die Darts im Board standen. Dadurch ging der Satz verloren.“
Doch sein Mentaltraining zeigte Wirkung. „Als ich von der Bühne ging, sagte ich mir: Nicht überdenken. Keine 180? Dann eben 174 oder 171 – Hauptsache, du triffst Triples. Genau das habe ich im letzten Satz getan, und dann war mein Spiel wieder da.“
Noch keine Elite? „Ich muss erst lernen, es zu glauben“
Trotz aktueller Ranglistenposition Nummer sechs zählt sich Van Veen selbst noch nicht zur absoluten Weltspitze. „Nein, so fühle ich mich nicht“, meinte er ehrlich. „Die Buchmacher sehen mich vielleicht als dritten oder vierten Favoriten, aber ich hatte hier vor diesem Jahr noch nie ein WM-Match gewonnen. Das relativiert einiges.“
Er weiß, dass er sich selbst noch stärker vertrauen muss. „Ich kneife mich manchmal, wenn ich lese, dass ich Nummer sechs der Welt bin. Ich muss lernen, daran zu glauben. Wenn ich weiter so spiele wie im letzten Jahr, gehöre ich bald zu dieser Gruppe – aber im Moment fühlt es sich noch surreal an.“
Leben im Schatten von Michael van Gerwen und Luke Littler
In den Niederlanden gilt Van Veen zunehmend als klare Nummer zwei hinter Michael van Gerwen – eine Rolle, die er mit erstaunlicher Reife annimmt. „In den Niederlanden schauen alle auf Michael. Er ist der Mann. Aber weil es ihn gibt, liegt nicht der ganze Druck auf mir. Das hilft mir sehr.“
Auch auf internationaler Bühne kennt Van Veen dieses Gefühl. „Als junger Spieler stehe ich auch im Schatten von Luke Littler“, erklärte er. „Das ist sogar hilfreich.“ Ob er diesen Schatten eines Tages verlassen möchte? Van Veen lachte. „Natürlich. Jeder Mensch will irgendwann die Nummer eins der Welt sein – die Nummer eins der Niederlande, Weltmeister. Aber im Moment bin ich glücklich in diesem Schatten. Wenn ich dieses Turnier gewinne, trete ich automatisch heraus – und ich würde mich sicher nicht beschweren.“
Er zieht den Vergleich zu Deutschland: „Dort lastet der ganze Fokus meist auf einem Spieler. Das stelle ich mir extrem schwierig vor. Für mich ist es angenehm, im Schatten von Michael zu stehen. Alle achten auf ihn – und ich kann in Ruhe meinen Weg gehen.“
Und trotzdem: Der Wunsch, diesen Schatten irgendwann zu verlassen, ist da. Van Veen lacht. „Klar will jeder Weltmeister werden – die Nummer eins der Niederlande und der Welt. Aber gerade ist das völlig okay. Wenn ich dieses Turnier gewinne, trete ich automatisch aus diesem Schatten heraus. Und darüber würde ich sicher nicht klagen.“
Mentale Stärke als Schlüssel
Ein zentraler Faktor für seinen Aufstieg ist die Arbeit mit einem Mentalcoach, mit der Van Veen Ende 2023 begann. „Nicht, weil ich plötzlich so hoch in der Rangliste stand, sondern um besser mit Druck umzugehen“, erklärte er. Diese Entscheidung zahlt sich nun sichtbar aus. „Mein Coach kommt aus dem Profifußball und weiß genau, was Druck bedeutet. Das hilft unglaublich.“
Trotz seines beeindruckenden Laufs bleibt Van Veen bescheiden. „Vier Siege fehlen zum Titel – das klingt nah, ist aber noch sehr weit weg. Vier schwere, lange Matches. Ich habe drei gewonnen, damit bin ich zufrieden. Mehr nicht.“
Sein sportliches Vorbild? Nicht etwa Van Gerwen, sondern Gary Anderson. „Er war der Grund, warum ich mich in Darts verliebt habe.“ Und der gefährlichste Gegner in diesem Turnier? „Luke Littler. Jeder, der etwas anderes sagt, lügt. Zum Glück kann ich ihn erst im Finale treffen.“
Was er aus dem Match gegen Razma mitnimmt, bringt Van Veen auf den Punkt: „Das Beste ist, dass ich mich nicht wohlgefühlt habe und trotzdem stark gespielt habe. Das gibt mir Selbstvertrauen. Mein Lernpunkt: Ich will meine Darts besser landen lassen. Wenn mir das gelingt, kann ich noch besser werden.“