„Ich bin immer noch der einzige Franzose bei der WM. Das erzeugt Druck – aber positiven Druck“ – Thibault Tricole eröffnet WM-Kampagne gegen japanischen Qualifikanten

PDC
Donnerstag, 18 Dezember 2025 um 12:30
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Wenn Thibault Tricole am Donnerstag, dem 18. Dezember, im Alexandra Palace auf die WM-Bühne tritt, geht es um weit mehr als nur ein weiteres Match im Turnierbaum der Darts WM 2026. Der 36-jährige Franzose steht erneut als einziger Vertreter seines Landes im Feld – und damit im Fokus einer Nation, die den Dartsport langsam, aber stetig für sich entdeckt. Tricole weiß um diese Rolle. Er spielt nicht nur für sich, sondern auch für die Sichtbarkeit einer ganzen Szene.
Gelassen wirkt er dennoch. „Ich fühle mich sehr gut“, sagt Tricole gegen FlashScore kurz vor seinem Auftritt. Seine Anreise nach London plante er bewusst spät. „Von Nantes bin ich in einer Stunde hier. Zwei Tage vorher reichen völlig. Ich fliege fünfzehnmal im Jahr nach England, das ist Routine.“ Diese Ruhe ist kein Zufall, sondern Teil eines Prozesses, den sich der Franzose über Jahre erarbeitet hat.

Später Auftritt, wacher Blick

Im Vergleich zum Vorjahr könnte der zeitliche Rahmen kaum unterschiedlicher sein. 2025 stand Tricole bereits am Eröffnungsabend der WM auf der Bühne, diesmal gehört er zu den letzten Spielern der ersten Runde. „Das fühlt sich anders an“, sagt er und lächelt. „Ob es besser ist, weiß ich nicht. Aber ich habe schon genug Überraschungen gesehen. Diese erste Runde ist gefährlich.“
Thibault Tricole in Aktion
Thibault Tricole trifft in der Auftaktrunde der Darts WM 2026 auf Motomu Sakai
Genau darin liegt für ihn auch ein mentaler Vorteil. Wer die WM von außen beobachtet, sieht Favoriten straucheln und Außenseiter über sich hinauswachsen. „Das schärft den Fokus“, erklärt Tricole. „Die Weltmeisterschaft ist speziell. Jeder spürt Druck, niemand ist sicher.“
Auf dem Papier scheint seine Ausgangslage günstiger als noch 2025. Damals gewann er zunächst gegen Joe Comito, nur um wenige Stunden später gegen Weltmeister Luke Humphries antreten zu müssen. „Zwei Spiele an einem Abend, auf dieser Bühne – das war zu viel“, gibt Tricole offen zu. „Jetzt habe ich ein Jahr mehr Erfahrung auf der Pro Tour. Ich bin deutlich ruhiger.“
Auch die Auslosung spielt ihm scheinbar in die Karten, zumal ein möglicher Zweitrundengegner wie Ross Smith bereits ausgeschieden ist. Doch Tricole warnt vor falscher Sicherheit. „Wenn jemand Smith schlägt, ist dieser Spieler auch stark. Ich freue mich nicht zu früh. Interessanterweise spiele ich oft besser gegen Topspieler als gegen Außenseiter. Wenn ich Favorit bin, setze ich mich manchmal selbst unter zu großen Druck.“
Der mentale Umgang mit dieser Rolle ist für ihn der Schlüssel. „Du musst akzeptieren, welchen Status du hast. Wenn du glaubst, das Spiel vorher schon gewonnen zu haben, verlierst du. Es klingt banal, aber bei der WM musst du wirklich von Match zu Match denken.“

Rangliste, Tour Card und nationaler Druck

Neben dem sportlichen Ehrgeiz spielen handfeste Faktoren eine große Rolle. Tricole belegt aktuell Platz 61 der Weltrangliste. Ein Sieg in Runde eins würde seine PDC Tour Card für das kommende Jahr nahezu sichern. „Ich stehe gut da, aber es ist noch nicht komplett durch“, erklärt er. „Wenn andere Spieler tief ins Turnier kommen, kann es noch eng werden. Deshalb ist dieses erste Match extrem wichtig.“
Hinzu kommt der wachsende Blick aus der Heimat. Tricole spürt, dass Darts in Frankreich angekommen ist. „Ich bin immer noch der einzige Franzose bei der WM. Die Leute schauen zu, die Einschaltquoten waren schon im letzten Jahr sehr gut. Das erzeugt Druck – aber positiven Druck.“
In der ersten Runde wartet mit Motomu Sakai ein japanischer Qualifikant, über den Tricole kaum Informationen sammeln konnte. „Ich wusste fast nichts über ihn“, sagt er. „Ein paar YouTube-Videos, mehr nicht. Sein Tempo, sein Rhythmus – das ist schwer einzuschätzen.“
Gerade diese Unbekanntheit birgt Gefahren. „Er hat nichts zu verlieren“, betont Tricole. „Er spielt nicht um Ranglistenpunkte oder eine Tour Card. Es ist sein erster Auftritt auf so einer Bühne. Die Atmosphäre im Ally Pally kann überwältigend sein, das kann mir helfen. Aber es bleibt riskant.“

Das stärkste Jahr seiner Karriere

Trotz aller Vorsicht reist Tricole mit berechtigtem Selbstvertrauen nach London. Die vergangenen Monate markieren das beste Jahr seiner Karriere. Siege gegen Spieler wie Michael Smith oder Stephen Bunting unterstreichen seine Entwicklung. „Ich fühle mich auf der Bühne wohler“, sagt er. „In Budapest habe ich vor sechs- bis siebentausend Zuschauern gespielt – mehr als bei der WM. Das war ein Schlüsselmoment.“
Diese Erfahrung war wichtig, denn lange Zeit kämpfte Tricole mit Nervosität auf großen TV-Bühnen. „Es ist meine dritte WM“, erklärt er. „Ich kenne die Halle, die Abläufe, alles drumherum. Es gibt keine Überraschungen mehr. Jetzt kommt es darauf an, das im richtigen Moment abzurufen.“

Botschafter wider Willen

Mit jedem WM-Auftritt wächst auch seine Rolle als Aushängeschild des französischen Darts. Tricole nimmt diese Aufgabe an, ohne sie zu überhöhen. „Es kommen Talente nach, wie Nicolas Thuillier oder Lylian Le Calvez“, sagt er. „Sie sind auf einem guten Weg, aber noch nicht so weit. Entwicklung braucht Zeit. Bei mir ging es auch langsam.“
Im internationalen Vergleich sieht er Frankreich noch deutlich zurück. „Zehn bis fünfzehn Jahre hinter Ländern wie Deutschland oder Belgien“, schätzt er. „Aber das Potenzial ist riesig. Frankreich ist groß, Darts ist in den Nachbarländern populär – das kann sich schnell übertragen.“
Ein entscheidender Faktor ist die mediale Präsenz. „L’Équipe zeigt inzwischen große Turniere“, betont Tricole. „Das wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. PDC TV ist etwas für Hardcore-Fans, aber Fernsehen erreicht die breite Masse. Man sieht das beim Tischtennis in Frankreich – Medienpräsenz verändert alles.“

Große Träume, klare Haltung

Spürt er die Verantwortung, wenn er die Bühne betritt? „Ja“, sagt Tricole ohne Zögern. „Aber sie motiviert mich. Seit über fünfzehn Jahren höre ich, Frankreich brauche einen Spieler, der international liefert. Schau dir an, was Spieler wie Raymond van Barneveld oder Michael van Gerwen für ihr Land bewirkt haben.“
Trotzdem bleibt er realistisch. „Ich habe nicht dieses Ausnahmetalent“, sagt er offen. „Aber ich habe Widerstandskraft. Ich bin 36 und glaube immer noch an große Momente. Ich muss kein Weltmeister werden. Wenn ich konstant gut spiele und ab und zu einen Großen schlage, hilft das dem Darts in Frankreich enorm.“
Ein tiefer Lauf bei der WM wäre dafür der größte Katalysator. „Das ist der Traum“, gibt Tricole zu. „Auf dem Papier gibt es eine Chance. Millionen Zuschauer in Frankreich – das wäre unglaublich. Ich versuche, während des Spiels nicht daran zu denken. Aber natürlich ist es irgendwo im Kopf.“
Am Donnerstagabend wird sich zeigen, ob Thibault Tricole diesen nächsten Schritt gehen kann. Für sich selbst. Und für ein Land, das langsam beginnt, sich im Dartsport wiederzufinden.
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