Das frühe Aus von
Raymond van Barneveld bei der
Darts WM hat Wirkung gezeigt – bei kaum jemandem so stark wie bei ihm selbst. Der fünffache Weltmeister scheiterte in London klar mit 0:3 an
Stefan Bellmont und verließ die Bühne so früh wie seit Jahren nicht mehr. Für den 58-Jährigen fühlte sich diese Niederlage nicht wie ein einzelner Rückschlag an, sondern wie der bittere Endpunkt einer kompletten Saison, die aus seiner Sicht komplett misslungen ist. Van Barneveld spart nicht mit Selbstkritik und zieht eine schonungslose Bilanz: So kann es nicht weitergehen.
Während viele Profis in diesen Tagen den Blick auf die Feiertage richten, herrscht bei „Barney“ Ernüchterung. „Weihnachten zählt dieses Jahr für mich nicht. Ich habe nichts zu feiern“,
sagte er gegenüber NU.nl. Das Aus gegen Stefan Bellmont hallt nach und zeigt ihm deutlich, wie groß die Lücke zu dem Niveau ist, das er von sich selbst erwartet. Die Enttäuschung sitzt tief – sportlich wie emotional.
Schonungslose Analyse nach dem WM-Aus
Van Barneveld versuchte gar nicht erst, das Ergebnis zu relativieren. Zwar fand er, dass seine Leistung nicht komplett schlecht gewesen sei, doch er erkannte auch an, dass sein Schweizer Gegner über sich hinausgewachsen war. „Am Ende bringt dir ein ordentliches Spiel gar nichts. Ich habe zwei Legs geholt gegen die Nummer 111 der Welt“, sagte er offen. „Wenn die Leute die Zeitung aufschlagen, sehen sie nur: Van Barneveld verliert 3:0.“
Van Barneveld scheiterte in der ersten Runde der Darts WM an dem Schweizer Stefan Bellmont.
Genau diese Außenwirkung schmerzt ihn besonders. Das WM-Aus steht für ihn sinnbildlich für „wieder ein weggeworfenes Jahr“. Dabei begann die Saison mit hohen Erwartungen. Van Barneveld spielte nahezu alle Pro-Tour-Turniere, investierte Zeit, Geld und Energie – doch der erhoffte Ertrag blieb aus. Statt eines Aufschwungs rutschte er in der Weltrangliste weiter ab. Der Aufwand stand in keinem Verhältnis zum Ergebnis.
Nach der Niederlage wurden erneut Stimmen laut, die dem Niederländer einen Rücktritt nahelegten. Für ihn ist das derzeit keine Option. Nicht aus sportlicher Hoffnung, sondern aus nüchternen Gründen. „Ich habe vielleicht Millionen an Preisgeld verdient, aber ein Großteil ging an das Finanzamt, durch eine Scheidung und für Reisekosten drauf. Ich muss weitermachen“, erklärte er.
Dieses Weitermachen bedeutet für van Barneveld jedoch nicht, einfach so weiterzuspielen wie bisher. Ihm ist klar, dass seine Karriere nur mit einer grundlegenden Veränderung eine Perspektive hat. In den vergangenen Jahren probierte er vieles aus: Mentalcoaching, Hypnotherapie, Meditation. Kurzzeitig brachte das Impulse, aber nichts führte dauerhaft zurück zu seiner alten Stabilität.
Nun will er einen anderen Weg einschlagen. Im Zentrum steht die Suche nach einem festen Begleiter, der ihm Struktur gibt – im Alltag wie im Training. „Ich suche jemanden, der mich motiviert, einen echten Antreiber“, sagt van Barneveld. „Jemand, der sagt: ‚Herr van Barneveld, auch Sie arbeiten von 9 bis 17 Uhr. Danach ist Freizeit.‘ Diese Struktur fehlt mir komplett.“
Disziplin von sich selbst einzufordern, fällt ihm seit Jahren schwer. Auch darüber spricht er ungewöhnlich offen. Bereits Anfang 2024 kündigte er an, fitter werden zu wollen, weil ihn viele jüngere Spieler körperlich überholt haben. Doch diese Pläne versandeten schnell. „Es gelingt mir seit Jahren nicht, mir selbst in den Hintern zu treten“, gibt er zu.
„Ich würde gern abnehmen und fitter werden, aber ich bin ein fauler Jan“, sagt van Barneveld selbstkritisch. „Manchmal sitze ich tagelang auf dem Sofa, scrolle am Handy und mache gar nichts. Ich stehe nicht einmal auf, um mit Kopfhörern spazieren zu gehen. Ich brauche jemanden, der mich von der Couch holt.“
Mentale Stabilität als Schlüssel
Neben der physischen Komponente sucht van Barneveld vor allem mentale Führung. Er erkennt, dass er sich vor und während Matches oft selbst blockiert. „Mehrere Shafts, verschiedene Flights – du willst gar nicht wissen, was alles in meinem Koffer lag. Damit machst du dich schon vor dem Spiel verrückt“, erklärt er. Ein Betreuer hätte ihn hier gestoppt und zur Ruhe gezwungen.
Auch organisatorische Kleinigkeiten bringen ihn aus dem Rhythmus. Als Beispiel nennt er den Spieltag gegen Bellmont. Der geplante Shuttle kam verspätet, seine Vorbereitung verkürzte sich deutlich. „Ehe ich mich versah, stand ich auf der Bühne. Ich war völlig überdreht“, schildert er. Für van Barneveld ein klassischer Moment, in dem ein Begleiter hätte eingreifen müssen.
„Ich brauche jemanden, der dem Hotel sagt: 16 Uhr ist 16 Uhr – und dann fährt van Barneveld zur Halle“, so seine klare Vorstellung. Gesucht ist eine Vertrauensperson, die organisatorisch alles regelt und emotional ansprechbar ist. Jemand, der Siege ebenso begleitet wie Niederlagen.
Van Barneveld weiß, wie anspruchsvoll dieses Profil ist. „Nach Niederlagen bin ich nicht der angenehmste Mensch. Damit muss man umgehen können.“ Dazu kommt die finanzielle Hürde. „So jemand kostet 2.000 bis 4.000 Euro im Monat. Wenn man selbst kaum Preisgeld holt, ist das schwer zu stemmen.“ Er hofft daher auf Unterstützung durch Sponsoren.
Mindestens noch zwei Jahre auf der Tour
Ans Aufhören denkt van Barneveld dennoch nicht. Er will mindestens noch zwei Jahre weiterspielen. „Ich erschrecke mich seit drei Jahren über mein eigenes Niveau. Aber ich mache auf jeden Fall bis 60 weiter“, sagt er. Das bedeutet: mindestens zwei weitere Weltmeisterschaften – sofern die Qualifikation gelingt. „Wenn ich mich nicht mehr qualifiziere, ist der Spaß schnell vorbei.“
Die Vorstellung, die letzten Jahre seiner Karriere nur noch am Rand des Circuits zu verbringen, ist für ihn unerträglich. Gut gemeinte Ratschläge, einfach locker zu bleiben, bringen ihn auf die Palme. „‚Du hast doch nichts zu verlieren, genieße es einfach‘ – das ist das Dümmste, was man mir sagen kann“, stellt van Barneveld klar. „Nur Siegen zählt. Ab jetzt muss alles andere dafür zurückstehen.“