James Hurrell brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er gerade erreicht hatte. Als der letzte Dart im Entscheidungssatz gegen
Dirk van Duijvenbode im Board steckte, wich die Anspannung einem Ausdruck reiner Ungläubigkeit. Auf der größten Bühne des Sports, im ausverkauften Alexandra Palace, hatte sich der 41-jährige Engländer erstmals für die dritte Runde der
Darts WM qualifiziert. Der 3:2-Erfolg war hart erarbeitet, emotional aufgeladen und sportlich beeindruckend – gekrönt von zehn geworfenen 180ern.
„Ehrlich gesagt bin ich sprachlos“,
sagte Hurrell direkt nach dem Match. Worte, die seine Gefühlslage treffend beschrieben. Der Engländer wirkte überwältigt, aber zugleich angekommen. „Ich hatte im Practice Room schon ein extrem gutes Gefühl. Manchmal spürst du das einfach. So war es auch bei ein paar Players Championships, alles hat gepasst.“
Vom Fehlstart zur Machtdemonstration
Dabei begann das Match alles andere als verheißungsvoll. Hurrell fand im ersten Satz kaum Rhythmus, sein Average blieb bei überschaubaren 72 Punkten stehen. Van Duijvenbode wirkte stabiler, ohne selbst zu glänzen. Doch genau darin lag der Knackpunkt. Hurrell wusste, dass mehr möglich war.
James Hurrell trifft in der dritten Runde der Darts WM 2026 auf Stephen Bunting
„Ich habe mir selbst eine klare Ansage gemacht“, erklärte er. „Ich hatte Chancen, habe sie aber nicht genutzt. Derek spielte keinen überragenden Satz, also wusste ich: Wach werden, fokussieren, weitermachen.“
Im zweiten Satz explodierte Hurrells Spiel förmlich. Der Average schoss auf 115 Punkte nach oben, die Darts flogen mit Überzeugung ins Triplefeld. Der Kontrast zum Auftakt hätte kaum größer sein können. Es war der Moment, in dem sich die Partie drehte – mental wie sportlich.
Von da an agierte Hurrell mit spürbarer Freiheit. Die Körpersprache änderte sich, das Selbstverständnis wuchs mit jedem gewonnenen Leg. Eine 180 folgte der nächsten, insgesamt zehnmal traf er das Maximum – so oft wie kein anderer Spieler bislang in diesem Turnier. „Das gibt dir enormes Selbstvertrauen“, sagte er mit einem Lächeln. „Mein Training war wirklich gut. Ich habe viel mit Luke Woodhouse geübt, und mein Scoring fühlt sich stark an. Wenn ich die Doppel treffe und ruhig bleibe, kann ich mithalten.“
Ein neues Selbstverständnis
Dieses neu gewonnene Selbstvertrauen prägt auch Hurrells Blick nach vorn. In der dritten Runde wartet
Stephen Bunting, ein ehemaliger Weltmeister und Publikumsliebling. Einschüchtern lässt sich Hurrell davon nicht. „Es ist mir egal, gegen wen ich spiele“, sagte er bestimmt. „Ich weiß, dass ich jeden schlagen kann.“
Eine Aussage, die seine Entwicklung deutlich macht. Vor einem Jahr gewann Hurrell zwar sein Auftaktmatch bei der WM, scheiterte danach jedoch klar an
Michael van Gerwen. Die Erfahrung gegen einen der Größten der Szene hat Spuren hinterlassen – positive. „Ich habe gelernt, nicht über schlechte Legs nachzudenken“, erklärte er. „Ein Leg ist vorbei, sobald es vorbei ist. Du darfst dich nicht hineinsteigern. Bleib präsent, egal was passiert.“
Angekommen auf der großen Bühne
Seit zwei Jahren ist Hurrell fester Bestandteil der PDC Tour. Was anfangs noch neu und einschüchternd wirkte, fühlt sich inzwischen vertraut an. „Ich fühle mich jetzt wirklich als Teil des Circuits“, sagte er. „Ich stehe um Platz 50 der Weltrangliste. Das bedeutet mir viel. Alles ist bekannt: die Abläufe, die Gesichter, die Atmosphäre.“
Auch mögliche Sorgen um seine Tour Card spielten vor dieser WM kaum eine Rolle. Rechnerisch war er noch nicht vollständig abgesichert, mental jedoch erstaunlich ruhig. „Nein, ich hatte keinen wirklichen Druck“, meinte Hurrell. „Ich weiß, was ich leisten kann. Mir war klar, dass ich mein erstes Match gewinnen kann, wenn ich den Kopf oben halte.“
Eine Premiere mit Symbolkraft
Mit dem Einzug in die dritte Runde stellte Hurrell gleich zwei persönliche Bestmarken auf. Er gewann erstmals zwei WM-Spiele in Folge und spielte eines der besten Matches seiner Karriere auf der größten Bühne. „Das macht es besonders“, gab er offen zu. „Alles zusammen ist das einfach enorm.“
Der Vergleich zum Vorjahr drängt sich auf. Damals wirkte Hurrell gegen van Gerwen sichtlich beeindruckt vom Freitagabend-Publikum und der Wucht des Moments. Dieses Mal präsentierte er sich deutlich gefestigter. „Ich war viel komfortabler“, sagte er. „Das Vertrauen, das ich mir auf der Pro Tour erarbeitet habe, hilft enorm. Diese Stabilität nimmst du mit auf die Bühne.“
Dominanz im Scoring
Besonders auffällig war Hurrells Überlegenheit im Scoring. Ausgerechnet gegen van Duijvenbode, der als einer der stärksten Power-Scorer der Tour gilt und in Runde eins noch über 800 Punkte mit hohen Aufnahmen sammelte, setzte Hurrell die Akzente. „Vielleicht unterschätzen manche, wie gut ich scoren kann“, meinte er nüchtern. „Bei mir geht es vor allem um die Doppel und die richtige Einstellung.“
Ob sein Gegner von der Serie an 180ern überrascht war? Hurrell lachte. „Vielleicht. Irgendwann hatte ich gefühlt mehr 180er als Aufnahmen über 100. Da fragt man sich schon, was gerade passiert.“
Alte Bekannte, neue Ziele
Mit Stephen Bunting trifft Hurrell nun auf einen alten Bekannten aus gemeinsamen BDO-Zeiten. Nervosität verspürt er deshalb nicht. „Stephen Bunting als nächster Gegner? Ich habe vor niemandem Angst“, sagte er. „Ein Turnier ist wie das andere. Entscheidend ist, dass du an dich glaubst.“
Wie weit seine Reise bei dieser Weltmeisterschaft gehen kann, beantwortet Hurrell realistisch, aber selbstbewusst. „Wenn ich mein Niveau halte, sehe ich keinen Grund, warum nicht noch mehr möglich sein sollte.“
Und die Weihnachtstage? Die will er trotz aller Euphorie nicht komplett dem Training opfern. „Vielleicht ein paar Stunden“, sagte er lachend. „Aber dieses Jahr sind die Kinder an Weihnachten zu Hause. Das ist genauso wichtig. Die Balance muss stimmen.“