Beau Greaves geht mit breiter Brust in die
Darts WM im kommenden Monat. Die 21-Jährige dominierte im vergangenen Jahr nicht nur die PDC Women’s Series, sondern sammelte zusätzlich Titel auf der Challenge Tour und der Development Tour. Gleichzeitig hat sie das öffentliche Interesse am Frauendartsport spürbar erhöht.
Darts-Analystin und Spielerin
Laura Turner verfolgt diese Entwicklung aus nächster Nähe. Im Gespräch spricht sie über das explosive Wachstum, neue Talente – und Greaves’ Chancen im Alexandra Palace.
„Der Frauendartsport ist endlich da, wo er sein sollte“
Turner muss keine Sekunde überlegen, als es um den Fortschritt im Frauendartsport geht. „Auf jeden Fall“, sagt sie. „Wir bekommen endlich die Anerkennung, die uns jahrelang gefehlt hat.“ Sie verweist auf steigende Preisgelder, wachsende Turnierfelder und eine Women’s Series, die mit der Version von vor wenigen Jahren kaum noch vergleichbar ist.
Vor Fallon Sherrocks Durchbruch 2019 gab es lediglich einen Qualifikationstag – heute stehen 24 Turniere pro Jahr im Kalender. „Das ist ein himmelweiter Unterschied“, betont Turner. „Wir spielen inzwischen regelmäßig gegen rund 100 Teilnehmerinnen. Das Niveau steigt, weil wir uns gegenseitig pushen müssen, um mit Beau, Fallon oder Lisa Ashton mitzuhalten.“
Trotz der Fortschritte sieht Turner weiteren Bedarf. „Wir sollten uns langfristig an 128 Teilnehmerinnen orientieren, wie bei den Männern. Die Professionalisierung ist greifbar, aber für viele bleibt ein Fulltime-Leben vom Darts schwierig. Nur die absolute Spitze – Beau oder Lisa – kann das dauerhaft stemmen.“
Neue Generation stellt sich breit auf
Turner richtet den Blick bewusst nicht nur auf etablierte Namen. Sie betont die Bedeutung neuer Spielerinnen wie Lorena Rietbergen, aktuelle Nummer eins der WDF, oder Kirsty Hutchinson.
„Wir brauchen diese Breite“, sagt Turner. „Lorena spielt herausragend – und wenn sie künftig häufiger PDC-Turniere spielt, hebt das das Niveau weiter an.“
Auch die Jugendstrukturen tragen Früchte. „Früher gab es keinerlei Weg wie die JDC. Heute kommen Talente wie Hannah Meek oder Paige Pauling bestens vorbereitet in den Sport. Sie sind selbstbewusst, konkurrenzfähig und furchtlos. Das war vor 20 Jahren undenkbar.“
Kein Beau in Lakeside – „eine riesige Chance für andere“
Greaves verzichtet erstmals seit Jahren auf die WDF-Weltmeisterschaft in Lakeside, wo sie dreimal den Titel holte. Turner sieht darin eine klare Chance für ihre Konkurrentinnen.
Gewann dreimal in Folge die Frauen WM der WDF
„Wenn man früh in einem Turnier auf Beau getroffen ist, war das Turnier praktisch entschieden“, sagt sie. „Sie war zu stark. Dass sie nicht dabei ist, öffnet das Feld.“
Die Auslosung zeigt jedoch, wie tough es bleibt: Mikuru Suzuki trifft früh auf einen schweren Gegner. „Aber so ist es nun mal: Wer den Titel will, muss alle schlagen.“
Der Schritt in den Ally Pally – „genau der richtige Zeitpunkt“
Dass Greaves sich auf die PDC-WM konzentriert, hält Turner für logisch und reif. „Beau trifft seit Jahren bewusst Entscheidungen. Sie lässt sich nicht drängen. Andere sind zu früh nach ganz oben gegangen und haben sich überrannt. Beau macht das anders.“
Als Wendepunkt sieht Turner den Grand Slam 2022. „Sie begann unsicher, aber gegen Ende sah man, dass sie es genießt und mehr will.“ Seitdem geht es steil nach oben: Siege auf Development und Challenge Tour, mehrere Averages über 100 – und starke Leistungen auch im TV.
In Wolverhampton spielte Greaves trotz zweier 4:5-Niederlagen gegen Gary Anderson und Michael van Gerwen zweimal dreistellige Averages. „Das sagt alles“, meint Turner. „Hohe Averages ohne Sieg zeigen: Sie ist nicht mehr zufrieden mit schönen Zahlen. Sie will gewinnen.“
Das Duell mit Luke Littler – „eine Geschichte, die man nicht erfinden kann“
Einer der prägendsten Momente war Greaves’ Sieg über Luke Littler auf der Development Tour. „Das Internet ist explodiert“, lacht Turner. „Nicht wegen des Ergebnisses, sondern weil Beau gegen Luke spielte. Dass sie ihn schlagen konnte, ist riesig für den Frauendartsport.“
Wie weit Greaves bei der PDC-WM kommen kann? Turner bleibt vorsichtig optimistisch. Alles hänge von der Auslosung ab. „Aber wenn sie diese 100-plus-Averages wiederholt, kann sie Spiele gewinnen. Wenn sie einmal ins Rollen kommt, ist eine große Geschichte möglich.“
Vergleiche zu Littlers Sensationslauf 2024 sind für Turner nicht übertrieben. „Kommt Beau in die Runde der letzten 32 oder ins Achtelfinale, wird die Berichterstattung explodieren. Sherrock sorgte 2020 für Schlagzeilen, Littler stellte die Dartswelt auf den Kopf. Beau könnte die nächste Stufe auslösen.“
Barneys Idee: Greaves in die Premier League?
Raymond van Barneveld brachte zuletzt ins Spiel, Greaves bei einer guten WM sogar für die Premier League Darts zu nominieren. Turner versteht den Gedanken.
„Warum nicht?“, fragt sie. „Littler wurde auch kritisiert – und hat sie dann gewonnen. Die Premier League ist ein Entertainment-Format, kein Ranglisten-Event. Wenn Beau ein Halbfinale oder Finale erreicht, liegt die Option auf dem Tisch.“
Überrascht zeigte Turner sich vor allem über Greaves’ eigene Aussage: Sie würde jede Einladung sofort annehmen. „Das zeigt ihren veränderten Mindset. Sie nutzt Chancen schneller. Das ist neu – und vielsagend.“
„Die nächste Generation ist erschreckend gut“
Zum Abschluss richtet Turner den Blick nach vorn. Dank guter Trainer, Professionalisierung und Vorbildern wie Greaves drängt eine extrem starke neue Generation nach.
„Die Mädchen kommen heute mit Technik, Selbstvertrauen und Wettkampfhärte in den Sport“, sagt Turner. „Sie sind so gut, so reif… für uns alte Hasen fast beängstigend. Aber es ist fantastisch für den Sport.“