Ryan Joyce steht zum ersten Mal in seiner Karriere im Viertelfinale der
European Championship – und das mit einer Leistung, die weniger durch Glanz, sondern durch Charakter und Effizienz überzeugte. Der 40-Jährige aus Newcastle besiegte Publikumsliebling
Martin Schindler in einem nervenaufreibenden Achtelfinale, das ihn an seine mentalen Grenzen führte – und zugleich seine größten Stärken offenbarte.
Schon früh deutete sich an, dass es kein Spiel der hochklassigen Qualität werden würde. Joyce eröffnete stark, warf regelmäßig solide Scores, verlor aber zwischendurch den Rhythmus. Dennoch blieb er ruhig, kontrolliert, fokussiert – und setzte in den entscheidenden Momenten die Nadelstiche. Seine Reaktion nach dem Match gegenüber
Dartsnews.de fasste alles zusammen: „Ehrlich gesagt war ich ein bisschen froh, dass ich dieses Match gewonnen habe. Mein Spiel war nicht gut genug. Viele meiner Pfeile trafen die Drähte an der Triple 20, und wenn ich dann endlich traf, flogen die nächsten beiden wieder in alle Richtungen.“
Selbstkritisch wie selten reflektierte er seine schwankende Leistung, doch wer genau hinsah, erkannte: Joyce’ mentale Stärke war der Schlüssel. Trotz der wechselhaften zweiten Phase kontrollierte er das Geschehen im entscheidenden Moment – und nutzte Schindlers verpasste Doppelchancen eiskalt aus.
Ruhe bewahren statt spektakulär glänzen
„Ich war frustriert über mein Scoring, aber zum Glück hat Martin ein paar Doppel verfehlt“, analysierte Joyce nüchtern. Diese Ehrlichkeit gehört zu seinem Markenzeichen. Während viele Spieler mit Emotionen und Gesten arbeiten, bleibt Joyce konzentriert, beinahe stoisch. Wo andere in Drucksituationen verkrampfen, zwingt er sich, locker zu bleiben.
Ryan Joyce steht erstmals im Viertelfinale von Dortmund.
„Manchmal dachte ich: Ich habe die Kontrolle, und dann spürte ich plötzlich, wie Martin zurückkam. In solchen Momenten muss man sich zwingen, sich zu entspannen. Unter Druck packt man den Pfeil zu fest und zieht ihn beim Wurf herunter. Ich habe mir immer wieder gesagt: Wirf entspannt, wie beim Training, denk nicht zu viel nach.“
Diese mentale Selbstdisziplin zahlte sich spätestens beim entscheidenden Leg aus. Mit einem 76er-Finish auf der Doppel-18 – einem Moment, den er später als „entscheidend für meinen Turnierlauf“ bezeichnete – brach er Schindlers Widerstand. Zum ersten Mal zeigte der sonst so ruhige Engländer Emotionen und ballte die Faust. „Das fühlte sich wie ein großer Moment an“, sagte er mit einem Lächeln. „Ich habe es kurz gefeiert, weil ich mich in meinem Spiel nicht wohl fühlte. Der Unterschied zwischen 7:5 oder 6:6 ist riesig – vor allem gegen jemanden wie Martin, der das Publikum hinter sich hat.“
Zwischenbuhrufe? Joyce bleibt unbeeindruckt
Dass das Publikum auf Seiten des Deutschen stand, überraschte Joyce nicht. Er hatte sich mental auf den Hexenkessel in Dortmund vorbereitet. „Ich wusste, dass es laut werden würde. Als ich gegen Martin auf der European Tour spielte, war das ähnlich. Die Fans waren nicht leise, aber wenn man es erwartet, kann man besser damit umgehen. Wenn es dich überrascht, bricht es deinen Fokus.“
Diese Gelassenheit machte den Unterschied. Statt sich provozieren oder aus dem Rhythmus bringen zu lassen, blieb Joyce sachlich, fast stoisch. Er ärgerte sich nicht über laute Reaktionen auf gegnerische Highscores – er nutzte sie als Konzentrationsanker. „Ich habe in jeder Runde versucht, das Match selbst zu gestalten, unabhängig davon, was um mich herum passiert“, sagte er.
Sein Spiel selbst blieb eines der Effizienz: Das Scoring variierte, doch die Doppel besetzte er mit fast chirurgischer Präzision. „Zu Hause übe ich hauptsächlich Finishes“, erklärte er. „Ich verbringe nicht endlos Zeit mit der Triple 20, das sieht man wahrscheinlich“, lachte er. „Aber ich glaube, dass Finishing der wichtigste Teil des Spiels ist. Du kannst jedes Match gewinnen, egal wie dein Average aussieht, solange du deine Doppel triffst. Das ist meine Philosophie.“
Joyce hat seinen Wurf auf die Doppel über Jahre perfektioniert – mit Erfolg. „Früher mochte ich Double Top nicht“, gab er zu. „Jetzt läuft es viel besser. Ich wollte vielseitiger sein. Auf diesem Niveau musst du alles beherrschen.“
Ein Jahr zwischen Höhen, Tiefen und Erkenntnissen
2025 war für Joyce ein Jahr voller Lektionen. Auf der European Tour sammelte er konstant Punkte, während die Players Championships ihn häufiger vor Rätsel stellten. „Ich habe mich schwer getan, konstant gute Leistungen zu bringen. Ich war am Ende wahrscheinlich nur unter den besten 64. Das ist nicht da, wo ich sein möchte.“
Den Grund sieht er vor allem in seinem dichten Turnierplan. „Das ganze Reisen und Spielen fordert seinen Tribut. Wenn du jede Woche unterwegs bist, fehlt dir irgendwann die Energie. Ich will im nächsten Jahr smarter planen. Nicht jedes Turnier spielen, lieber gezielter angreifen. Manchmal ist es besser, sich auszuruhen, um in den wichtigen Momenten frisch zu sein.“
Trotz mancher Rückschläge betrachtet Joyce 2025 als wertvoll. Sein Stammplatz auf der European Tour verschaffte ihm Routine auf der großen Bühne – und damit genau das Selbstvertrauen, das in Matches wie gegen Schindler den Ausschlag gab. „Ich musste mich nicht mehr über Qualifier kämpfen, sondern war durch die Pro Tour Order of Merit sicher dabei. Das bedeutet: du spielst regelmäßig gegen die Besten. Jede Woche lernst du etwas dazu.“
Diese Erfahrung, sagt er, sei „Gold wert“. Besonders, weil das kommende Jahr noch lukrativer und intensiver wird. „Das Preisgeld steigt, die Konkurrenz wächst. Ich habe das Gefühl, jetzt in einer guten Position zu sein, um den nächsten Schritt zu machen.“
Stratege statt Showman
Wer Ryan Joyce auf der Bühne sieht, erlebt keinen tanzenden Entertainer, sondern einen strategischen Arbeiter. Keine ausufernden Gesten, keine lauten Jubelposen – dafür Präzision, Ruhe und Effizienz. Er verzichtet bewusst auf markige Parolen. „Ich setze mir nie feste Ziele“, betont er. „Ich denke nur drei Pfeile voraus. Wenn du die nächste Aufnahme besser spielst als die letzte, kommt der Erfolg automatisch.“
Diese Philosophie ist so unspektakulär wie effektiv. Joyce spielt nicht für die Kameras, sondern für das Ergebnis. Sein Sieg über Schindler war kein Meisterwerk des Spektakels, sondern ein Lehrstück in mentaler Standfestigkeit. Ein Spiel, das zeigt, dass Darts nicht immer ein Feuerwerk an 180ern braucht, um groß zu sein.
„Ich habe nicht gut gespielt“, bilanzierte Joyce unverblümt. „Aber ich habe getan, was nötig war, um zu gewinnen. Und darum geht es am Ende.“
Mit dieser klaren Haltung und seiner wiederentdeckten Ruhe geht er nun in sein erstes European Championship Viertelfinale. Gegner, Publikum, Statistik – all das wird keine Rolle spielen, wenn Ryan Joyce wieder ans Oche tritt.