Nach wochenlangen Zweifeln, Kritik und enttäuschenden Auftritten stand
Michael van Gerwen am Wochenende plötzlich wieder als Sieger auf der Bühne. In der AFAS Live in Amsterdam gewann der Niederländer völlig überraschend die
World Series of Darts Finals – ein Titel, den ihm im Vorfeld kaum jemand zugetraut hatte. „Wenn das jemand am Freitag gesagt hätte, hätte man gedacht: Der ist nicht ganz richtig im Kopf“, fasste
Vincent van der Voort im Podcast
Darts Draait Door zusammen.
Denn die Erwartungen an van Gerwen waren niedrig. In schwacher Form und mit einer knüppelharten Auslosung warteten Gegner wie Rob Cross, Luke Humphries, Josh Rock und Luke Littler auf ihn. Doch „Mighty Mike“ zeigte einmal mehr, was einen Champion ausmacht – und spielte sich in einen Rausch.
Ein schweres Los, ein überragendes Niveau
„Er hatte eine wirklich schwere Auslosung. Das waren alles Spitzenspieler“, analysierte van der Voort. „Wann hat er zuletzt solche Partien hintereinander gespielt? Bei der WM stand er im Finale, aber nicht auf diesem Niveau.“ Mit einem Turnieraverage von 102 Punkten unterstrich van Gerwen, dass er weiterhin zur absoluten Weltklasse gehört.
Auch Damian Vlottes hob im Podcast die Bedeutung des Triumphs hervor: „Endlich die Bestätigung, dass er immer noch dabei ist. Das ist sehr wichtig.“
Für van Gerwen selbst war der Titel auch persönlich ein Befreiungsschlag. Nach seiner Scheidung hatte er schwierige Monate erlebt. Besonders emotional war der Moment mit seiner Tochter Zoë, die nach dem Finale im Auto sofort auf seiner Schulter einschlief. „Jeder weiß, woher ich komme und wie hart ich arbeiten musste. Das gibt eine große Befriedigung“, erklärte van Gerwen mit Tränen in den Augen. Sein Umfeld feierte ihn ausgelassen: „Gestern hatte er 37 Gäste bei sich“, lachte van der Voort. „Wenn man gewinnt, hat man Freunde.“
Zwischen Glück und Champion-Mentalität
Dass van Gerwen das Turnier überhaupt gewann, war kein Selbstläufer. Schon in der ersten Runde stand er gegen Wessel Nijman am Rande des Aus. Nijman vergab auf Doppel-16 einen Matchdart – und ließ den Favoriten am Leben. „So einfach ist das“, meinte van der Voort. „Wenn die 112 fällt, ist Michael draußen.“
Doch während Nijman sichtbar nervös wurde, zeigte van Gerwen, was Sieger von guten Spielern unterscheidet: Kaltschnäuzigkeit in den entscheidenden Momenten. Mit einem spektakulären 122er-Finish drehte er das Match gegen Cross, eliminierte anschließend Humphries und Rock in hochklassigen Partien. Gegen Rock spielte er laut van der Voort „vielleicht sein bestes Match des Wochenendes“.
Im Finale gegen Luke Littler ging van Gerwen trotz nachlassender Kräfte über seine Grenzen. „Er ist viel fitter geworden, aber am Ende konnte man sehen, dass er leer war. Trotzdem wirft er dann ein 130er-Finish – das ist Klasse“, analysierte van der Voort.
Die Rolle des Publikums
Ein weiteres Thema war die Atmosphäre in Amsterdam. Van Gerwen weiß wie kaum ein anderer, wie er die Zuschauer hinter sich bringt. Andere Spieler bekamen dagegen die Schattenseiten zu spüren. So wurde Cor Dekker, gebürtiger Niederländer unter norwegischer Flagge, in seinem Spiel gegen Raymond van Barneveld ausgepfiffen, als er sechs Matchdarts vergab.
„Alle wollten, dass Raymond gewinnt“, erklärte van der Voort. „Das kann man nicht rechtfertigen, aber es überrascht auch nicht. Wer sechs Matchdarts liegen lässt, den nimmt das Publikum auseinander.“ Dekker verzichtete anschließend auf den Handschlag mit Van Barneveld – ein Verhalten, das laut van der Voort seine Unerfahrenheit offenbarte.
Van Barneveld selbst zeigte danach gegen Gerwyn Price, dass er noch immer mithalten kann. Price hingegen wirkte angeschlagen. „Er war wirklich erschöpft. Normalerweise schreit er alles zusammen, aber diesmal sah es so aus, als bräuchte er jeden Moment einen Stuhl“, kommentierte van der Voort. Price verlor sein Halbfinale trotz einer 9:6-Führung gegen Littler.
Die neue Generation fordert heraus
Das Turnier verdeutlichte erneut die Stärke der neuen Generation. Luke Littler verblüfft Woche für Woche, während Josh Rock sein enormes Potenzial zeigte – auch wenn es ihm noch am Killerinstinkt fehlt. „Dafür, wie gut Rock spielt, gewinnt er sehr wenig“, so van der Voort. „Das ist der Unterschied zu Michael: Wenn er gut ist, gewinnt er auch.“
Van Gerwens Triumph bekommt dadurch eine besondere Bedeutung. Gegen die kommenden Stars der Szene stellte er eindrucksvoll klar, dass er immer noch ein entscheidender Faktor bleibt. Als man ihn fragte, wie es sich anfühle, als Erster sowohl Humphries als auch Littler auf einer großen Bühne besiegt zu haben, kam die typische Antwort: „War ich der Erste? Ich werde auch der zweite und der dritte sein.“
Kann er dieses Niveau halten?
Doch die große Frage bleibt: War dies ein einmaliger Glanzmoment oder die Rückkehr zur alten Dominanz? Van der Voort warnt vor zu viel Euphorie: „Das ist ein Turnier, das fantastisch war. Aber er muss auf diesem Niveau weitermachen. Nach der WM haben wir auch gesagt: Er ist zurück. Und danach kam nicht mehr viel.“
Für van Gerwen ist der Sieg in Amsterdam ein Statement – die kommenden Monate werden zeigen, ob er es bestätigen kann.